Fliegerschicksale über Lumda, Lahn und Ohm
  Treisbach, 20. Februar 1944
 

Treisbach, Sonntag, 20. Februar 1944
 

Es war im Jahre 1996, als wir von Helmut Heck aus Niederwalgern zwei Fotos vorgelegt bekamen.
Er sagte mir, daß diese beiden Schwarzweißfotografien an der Absturzstelle eines US-amerikanischen Bombers zwischen Treisbach und Niederasphe im Jahr 1944 aufgenommen wurden.
Mit Unterstützung der Mitarbeiter des Hessischen Staatsarchivs in Marburg waren wir schon vorher in den ehemaligen Polizeiakten des Landkreises Marburg auf einen Absturz bei Treisbach gestoßen.

Der damalige Landrat meldete am 21. Februar 1944 an das zuständige Luftgaukommando VI in Münster in Westfalen, daß am Vortag um 14.00 Uhr ein amerikanischer Bomber vom Typ B-24 „Liberator” im Feld bei Treisbach abgestürzt war.
Er schrieb auch, daß fünf Mann der Besatzung gefangengenommen wurden. Drei Mann in Treisbach, darunter ein Verwundeter, ein Mann in Oberndorf und ein Mann in Wetter.  
Drei Besatzungsmitglieder wurden tot aufgefunden. Ein Mann an der Absturzstelle, einer mit nicht geöffnetem Fallschirm bei Treisbach und der Dritte ohne Fallschirm bei Oberndorf.

Die überlebenden Besatzungsmitglieder gaben damals an, daß sich zehn Mann in der Maschine befunden hatten.
Es mußte also damals damit gerechnet werden, daß sich die zwei noch nicht gefundenen Flieger auf der Flucht befanden.
Größere Suchaktionen brachten jedoch zunächst keinen Erfolg.
Erst drei Wochen später, am 13. März 1944, wurde im Wald bei Oberrosphe ein weiteres Besatzungsmitglied tot aufgefunden. Es handelte sich hierbei um den mit dem Purple Heart ausgezeichneten 23jährigen Bordmechaniker der Besatzung, S/Sgt. Richard J. McCoy aus Jersey City im US-Staat New Jersey..
Nochmals fünf Tage später, am 18. März 1944, wurde das zehnte Mitglied der Besatzung tot aufgefunden. Die Leiche des linken Rumpfschützen, Sgt. Robert E. Shultz aus Staunton, Virginia wurde im Treisbacher Feld in Richtung Warzenbach gefunden.
Erst nach fast vier Wochen war der Verbleib der amerikanischen Flieger für die deutschen Dienststellen geklärt.
 
(Die Besatzung der B-24. Hintere Reihe von links: S/Sgt. Reader, Sgt. Shultz, S/Sgt. McCoy,
Sgt. Winfree, Sgt. Hoffman, und Sgt. Wapensky. Vordere Reihe von links: 2ndLt. Lewis,
2ndLt. Johnston, 2ndLt. Fitzsimmon (Er flog diesen Einsatz nicht mit. Für ihn flog 2ndLt. Rawson) und 2ndLt. Richardson.) (Foto: Gerald E. Reader)

Was war geschehen?
Der 20. Februar 1944 war der erste der Tag der „Big Week” („Große Woche”).
Die westlichen Alliierten begannen an diesem Tag großangelegte Bombenangriffe auf die deutschen Flugzeugfabriken und Flughäfen, um die Luftwaffe auszuschalten.
Bis zum 25.02.44 flog die USAAF (United States Army Air Force) insgesamt etwa 3800 Tageseinsätze. 3300 von England und 500 weitere von Italien aus.
Die Amerikaner verloren dabei 254 Maschinen, geben aber auch an, 75% der angegriffenen Anlagen zerstört und dazu noch 600 deutsche Flugzeuge vernichtet zu haben.
Eine der amerikanischen Verluste war die bei der Firma Consolidated in San Diego, USA, hergestellte B-24 J „Liberator” mit der Werknummer 42-100373. 

(Die Absturzstelle bei Treisbach am 20. Februar 1944.) (Foto: Helmut Heck+) 

Bereits auf dem Rückflug von ihrem Angriffsziel in Helmstedt, einem Ablenkungsziel, wurde die Maschine der 44. Bombardment Group um 13.50 Uhr von Flaksplittern getroffen.
Ein Motor zeigte eine Rauchfahne und die Maschine fiel aus ihrem Pulk zurück.
Gegen 14.00 Uhr wurde die Maschine noch viermal von deutschen Jagdflugzeugen des Typs Messerschmitt Bf 109 angegriffen.
Aufgrund dieser Angriffe schoß der aus Fond Du Lac im US-Bundesstaat Wisconsin stammende Bordfunker der Maschine, S/Sgt. Gerald E. Reader, Leuchtspurmunition ab, um eigenen Jagdschutz auf die schwierige Lage aufmerksam zu machen, aber die amerikanischen Begleitjäger konnten der Besatzung der B-24 nicht mehr zu Hilfe eilen.
Innerhalb weniger Minuten gelang es den Flugzeugführern in ihren Messerschmitt Bf 109, den hinteren Rumpfteil der „Liberator” in Brand zu schießen.
Der Bereich des Heckschützen stand in Brand, und der Co-Pilot, 2nd. Lt. James R. Lewis aus San Angelo in Texas, übermittelte der Besatzung im hinteren Flugzeugteil den Befehl, abzuspringen.
Der Bordfunker S/Sgt. Reader gibt später zu Protokoll, daß zunächst der Bordmechaniker vorne ausstieg, danach die beiden Rumpfschützen und der Schütze in der Bodenkanzel im hinteren Teil der Maschine. Laut späteren Aussagen des Bombenschützen, 2ndLt. William G. Richardson aus Portland, Maine, sprangen er und der Navigator, 2ndLt. William P. Johnston aus Kansas City in Missouri, gemeinsam ab, nachdem auch die Bordverständigung ausgefallen war und die Maschine immer stärker zu brennen begann.

(Die Unteroffiziersdienstgrade der Maschine. Das Foto, vor einer P-38 „Lightning” scheint in einem Studio aufgenommen worden zu sein. Von links: Sgt. Wapensky, S/Sgt. Reader, Sgt. Winfree, Sgt. Hoffman, S/Sgt. McCoy und Sgt. Shultz.) (Foto: Gerald E. Reader)
 

Da der Fallschirm des Heckschützen, Sgt. Russell A. Wapensky aus Laneford in Pennsylvania, durch Treffer aus den deutschen 20mm-Kanonen durchlöchert und durch die Brandeinwirkung unbenutzbar geworden war, nahm der Co-Pilot, 2ndLt. Lewis, den Heckschützen auf den Rücken und sprang zusammen mit ihm ab. Als sich aber der Fallschirm dann mit einem Ruck entfaltete, konnte sich Sgt. Wapensky nicht mehr halten und stürzte zu Tode. Es dürfte sich hier um den bei Oberndorf gefundenen Toten gehandelt haben.
Unverletzt gerieten der Pilot, 2ndLt. Frederick H. Rawson aus Erie in Pennsylvania, der an diesem Tag für den eigentlichen Piloten der Besatzung, 2ndLt. Fitzsimmons, einsprang, da dieser erkrankt war, der Co-Pilot, 2ndLt. Lewis, der Bombenschütze, 2ndLt. Richardson und der Bordfunker, S/Sgt. Reader in Kriegsgefangenschaft. Der Schütze aus der Bodenkanzel, Sgt. John B. Hoffman aus Longview in Texas, war verwundet in Gefangenschaft geraten und wurde in ein deutsches Lazarett eingeliefert.

(William G. Richardson im Alter von 25 Jahren in Fliegeruniform.)(Foto: Freida Richardson)

 2ndLt. Richardson erinnerte sich später noch, daß bei seiner Gefangennahme auch der schwerverwundete Sgt. Julian E. Winfree Jr. aus Greensboro in North Carolina noch lebte, und der Leichnam von 2nd.Leutnant Johnston mit ungeöffneten Fallschirm neben ihnen lag, so daß es sich bei dem Ort seiner Gefangennahme um Treisbach gehandelt haben muß. 

(Wrackteile am Tag nach dem Absturz. Der Rauch hat sich verzogen) (Foto: Helmut Heck+)

2ndLt. Johnston und Sgt. McCoy fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem amerikanischen Kriegsgräberfriedhof in Margraten, Niederlande.
Sgt. Wapensky ruht auf dem amerikanischen Kriegsgräberfriedhof Ardennes, Belgien und
Sgt. Shultz und Sgt. Winfree wurden in ihre Heimat überführt.

Folgende deutsche Einheiten meldeten an diesem Tag Luftsiege über B-24 „Liberator”:

II. Gruppe/ Jagdgeschwader 3
III. Gruppe//Jagdgeschwader 3
I. Gruppe/Jagdgeschwader 11  
II. Gruppe/Jagdgeschwader 26 und
I. Gruppe/ Zerstörergeschwader 76.

Da die I./JG 11 und die II./JG 26 mit Maschinen vom Typ Fw 190 (Doppelsternmotor vom Typ BMW 801) und die I./ZG 76 mit zweimotorigen Maschinen vom Typ Bf 110 ausgestattet waren, dürfte es sich bei dem Bezwinger dieser „Liberator” um einen Flugzeugführer der II. oder III. Gruppe des Jagdgeschwader 3 „Udet” handeln.
Dadurch blieb bei meinen Nachforschungen nur noch ein deutscher Flugzeugführer übrig, die diese B-24 abgeschossen haben könnten. Lt. Jürgen Hörschelmann vom Stab der III. Gruppe des JG 3, der seinen insgesamt 8. Luftsieg über eine B-24 für 14.20 Uhr meldete.

Bei weiteren Recherchen vor Ort und in Treisbach konnten uns keine weiteren Informationen gegeben werden. Eines Abends jedoch erhielt ich noch einen Anruf. Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen wollte, teilte mir mit, daß einer der Amerikaner von einem Einwohner Treisbachs, der als Soldat auf Heimaturlaub war, mit einem Schuß aus einem Karabiner K-98 angeschossen worden sei.

In den Berichten der überlebenden Besatzungsmitglieder, konnte darüber aber nichts in Erfahrung gebracht werden.
Sicher hätte ein solcher Vorfall intensive Nachforschungen von amerikanischer Seite nach sich gezogen.
Nach dem Einmarsch der amerikanischen Bodentruppen im Frühjahr 1945, wurden die in Treisbach beigesetzten amerikanischen Flieger exhumiert und in der Kirche aufgebahrt.
Die örtliche Politprominenz mußte den Toten die letzte Ehre erweisen und an den stark verwesten Leichen vorbeimarschieren.
Wenn man heute auf den Feldwegen an der Absturzstelle entlanggeht, sieht man auf den geeggten und gepflügten Ackern hin und wieder kleine Blechteile und manchmal ein im Sonnenlicht blitzendes Glasstück.
Kaum noch jemand weiß, daß diese Teile von einem amerikanischen Bomber stammen, der bei seinem Absturz fünf seiner Besatzungsmitglieder mit in den Tod riß.

Im Januar 2006 nahmen wir Kontakt mit Herrn Gerald (Jerry) Folsom in den USA auf. Er, selbst Kriegsteilnehmer, hilft im Traditionsverband der 44. Bombardment Group und hat uns nach unseren ersten Anschreiben sofort die Adressen von vier der überlebenden Besatzungsmitgliedern mitgeteilt.
Gleich danach schickten wir vier Briefe an die angegebenen Adressen und bekamen schon am 27. Januar des gleichen Jahres eine erste Rückantwort. Der ehemalige Bordfunker, Gerald E. Reader, schickte uns die zwei Fotos der Besatzungsmitglieder, die ich in diesem Artikel veröffentlichen konnte.
Wenige Tage später erhielten wir von Frau Freida Richardson einen weiteren Brief mit zwei Fotos ihres Mannes. William G. Richardson verstarb am 15. November 2002 und seine Witwe bedankte sich dafür, daß wir die Erinnerung an alle diese Menschen durch Nachforschungen und Berichte wachhalten werden.
 

Absturz eines viermotorigen amerikanischen Bombers
 

 Ort:                Treisbach, ca. 1500 m no in Richtung Niederasphe

Datum:           20. Februar 1944

Uhrzeit:          
ca. 14.10 Uhr bis 14.20 Uhr

Flugzeugtyp:
Consolidated B-24 J-95 CO „Liberator

Werknummer:
42-100373

Hersteller:      
Consolidated , San Diego, USA

Motoren:        
4 luftgekühlte Pratt & Whitney R-1830-65 14-Zylinder-Doppelstern

Einheit:          
506th Bombardment Squadron der 44th Bombardment Group

Heimatflugh.:
Chedington, England

Angriffsziel:   
Helmstedt

Absturzursache:
Flaktreffer und dann Beschuß durch dt. Jagdflugzeuge


Besatzung:

  Pilot:                            
2ndLt. Frederick H. Rawson                       Gefangenschaft

  Co-Pilot:                      
2ndLt. James R. Lewis                               Gefangenschaft

  Navigator:                  
2ndLt. William P. Johnston                         Gefallen

  Bombenschütze:          
2ndLt. William G. Richardson                     Gefangenschaft

  Bordmechaniker:        
S/Sgt. Richard J. McCoy                            Gefallen

  Bordfunker:                 S/Sgt. Gerald E. Reader                             Gefangenschaft

  Bodenkanzelschütze:  
Sgt. Julian E. Winfree                                  Gefallen

  re. Rumpfschütze:      
Sgt. John B. Hoffman                                   Gefangenschaft

  li. Rumpfschütze:       
Sgt. Robert E. Shultz                                   Gefallen

  Heckschütze:              
Sgt. Russell A. Wapensky                            Gefallen
 


 
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