Fliegerschicksale über Lumda, Lahn und Ohm
  Fliegermorde
 


Letzte Änderung: 26.09.2023


In dieser Rubrik sollen die beiden Abschüsse, bei denen es im Landkreis Marburg-Biedenkopf zu Morden an alliierten Fliegern kam, etwas ausführlicher dargestellt werden:

1. 07.10.1944 Schiffelbach und
2. 06.12.1944 Erdhausen.

In dem Zeitraum vom 20.12.1943 bis zum 09.04.1945 wurden im Großkreis Marburg-Biedenkopf ca. 15 alliierte Flugzeuge abgeschossen, aus denen 38 Soldaten rechtzeitig aussteigen konnten und in Gefangenschaft gerieten. Nachweislich wurden drei dieser Gefangenen nach der Festnahme ermordet.

Alle diese Morde haben mit einer bestimmten Örtlichkeit und Person zu tun: Es handelt sich um das Zuständigkeitsgebiet des damaligen Polizeichefs für den Altkreis Biedenkopf, Karl Friedrich Menge, der die Tötung der Gefangenen anordnete. Der einzige alliierte Flieger, der während der Amtszeit von Menge im Altkreis Biedenkopf festgenommen wurde und den Krieg überlebte, ist A.J. McAvoy. Dieser war am 31.03.1944 bei Quotshausen schwer verwundet geborgen worden und gelangte in die Obhut von Ärzten und anscheinend nicht in die der Polizei. Mit ihm zusammen hatte auch noch David Rowcliffe den Flieger lebend verlassen können, er verstarb jedoch einen oder zwei Tage später vermutlich aufgrund seiner schweren Verbrennungen. Konkrete Hinweise darauf, dass auch er ermordet worden sein könnte, liegen bisher nicht vor.

Während sich die direkt an den Morden beteiligten Polizeibeamten nach dem Krieg der alliierten Gerichtsbarkeit stellen mussten, was mit einer vollstreckten Todesstrafe und zwei langjährigen Freiheitsstrafen endete, gelang es Menge, spurlos unterzutauchen. So konnte er nie zur Rechenschaft gezogen werden. Sein Lebensweg, soweit bekannt, sei hier ausführlich beschrieben. Die wesentlichen Daten stammen aus der Akte WO 309/914 des Nationalarchivs London und resultieren aus den Versuchen amerikanischer und britischer Ermittler Menge habhaft zu werden.

Geboren wurde er am 08.05.1899 in Eigenrode/Thüringen, heute ein Ortsteil von Unstruttal. Er hatte 6 Geschwister, die Eltern, Bauer Hermann Menge und dessen Ehefrau Luise, geb. Meinberg, sind vor 1941 verstorben. Nach der Volksschule absolvierte er eine Lehre zum Maschinenstricker.

Teilnehmer des 1. Weltkriegs bei der Marine in Wilhelmshaven, II. Torpedo-Division. 1919 Entlassung aus der Marine, arbeitete in seinem alten Beruf und in Sömerda als Revisionsangestellter.

27.02.1923 Eintritt in den Polizeidienst als Polizei-Unterwachtmeister.

02.01. – 27.03.1926 Lehrgang in Burg bei Magdeburg, anschließend Angehöriger des berittenen Zuges in Mühlhausen/Thüringen.
Heiratete dort am 16.04.1927 die Gertrud Eckhardt (*09.10.1897 in Mühlhausen), die 1928 eine Fehlgeburt erlitt. Auf der Heiratsurkunde ist ein Adoptivsohn vermerkt: Klaus Dieter Framm (ggf. Fromm), geboren am 05.05.1934 in Breslau
.

1927 Versetzung nach Hamborn, 1929 nach Aachen und Verbleib dort bis zum Verlassen der Schutzpolizei am 18.08.1933.
01.05.1933 Eintritt in die NSDAP – Mitglied Nr. 2087409.
01.01.1934 Neueinstellung bei der Gendarmerie in Seitsch (heute: Siciny), Kreis Guhrau (heute: Góra) /Schlesien (Bezirk Breslau).
24.04. - 06.08.1934 Gendarmerie-Schule in Allenstein.
01.08.1934 Eintritt in die Nationalsozialistische Wohlfahrt (NSV) – Mitglied Nr. 2982788.
27.08.1934 Vereidigung auf den Führer und Reichskanzler.
15.10.1940 – 05.01.1941 bei der Gendarmerie-Abteilung Filipow, Reg.Präs. Gumbinnen.
1941 Angehöriger der Gendarmerie beim Landratsamt Suwalki, Reg.Bez. Gumbinnen (Ostpreußen). 06.01.1941 Kreisführerkursus in Hildesheim, der am 25.02.1941 wegen Krankheit abgebrochen wurde.
17.03. - 27.03.1941 Staatskrankenhaus der Polizei in Berlin wegen nervöser Erschöpfung, anschließend bis zum 07.05.1941 Kuraufenthalt in Lauterbach, Kreis Habelschwerdt/Schlesien.
16.05.1941 Dienstantritt im Elsass (Sulz bei Straßburg).

Am 01.09.1943 wurde er mit dem Dienstgrad „Bez.-Leutnant der Gendarmerie“ Gendarmerie-Kreisführer in Biedenkopf. Er wohnte dort mit seiner Ehefrau und dem angenommenen Sohn im Haus von Frau Wick, Theisenbachstraße 1, gab aber in einer offiziellen Stärkemeldung der Polizeistation Biedenkopf am 01.04.1944 an, in Biedenkopf, Hainstraße 74 (damaliges Forstamt), zu wohnen (HStAM Bestand 270 Marburg, Nr. 791). Unter dieser Adresse wohnte ein Fräulein D. (der vollständige Name ist bekannt), diese Dame war von Menge geschwängert worden. Entbunden hat Frl. D. im Juli 1945 irgendwo in einem Bauernhaus in Westfalen. Menge hatte sie, um einen Skandal in Biedenkopf zu vermeiden, bei einer NSDAP-Behörde in Wiesbaden untergebracht - diese Behörde war aufgrund der Kriegsereignisse nach Westfalen evakuiert worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Menge bereits aus Biedenkopf abgesetzt: Unmittelbar vor dem Eintreffen der amerikanischen Streitkräfe im März 1945 in Biedenkopf fuhr an seiner Wohnung ein Auto vor, er stieg mit Frau und Sohn ein und danach hat niemand mehr etwas von ihm gehört oder gesehen. Sowohl die amerikanischen und britischen Ermittlungsbehörden, als auch die Mutter seines unehelichen Kindes suchten ihn erfolglos.

Noch im Jahr 1945 kam Menges Ehefrau allein zurück nach Biedenkopf, um den Hausstand aufzulösen. Hierbei erwähnte sie, dass der 11-jährige Sohn auf dem Weg nach Eigenrode verstorben sei. Bei diesem Besuch in Biedenkopf erfuhr sie von dem unehelichen Kind ihres Mannes und sagte, sie wüsste nicht, was sie mit ihrem Ehemann anstellen würde, wenn er bei ihr auftauchen sollte. Ihr Versprechen, sich später bei der Vermieterin, Frau Wick, zu melden, wurde nicht eingehalten.

Nach den Morden an den Kriegsgefangenen hat Menge hiervon seiner Ehefrau erzählt und angemerkt, dass er sich selbst erschießen würde, falls Deutschland den Krieg verliere. Wie der Krieg ausging ist bekannt, die Leiche von Menge jedoch nicht gefunden. Die Briten vermuteten Menge in erster Linie in der sowjetischen Besatzungszone. Entsprechende Ermittlungen waren dort wegen der politischen Lage nicht möglich und sollten später durchgeführt werden – dies ist offensichtlich bis heute nicht geschehen. Letztendlich gehen die Briten im Jahr 1947 davon aus, dass Menge nicht mehr lebt, obwohl keine konkreten Anhaltspunkte hierfür vorliegen.





Karl Friedrich Menge

(Quelle: Nationalarchiv London, Archiv Nr. WO 309/914)

Erst im Jahr 2020 konnten konkrete Hinweise auf den Verbleib von Menge erlangt werden: 

Laut Unterlagen des Stadtarchivs Mühlhausen/Thüringen wohnte Frau Menge am 01.05.1946 dort unter der Adresse Brückenstraße 25 zusammen mit einer weiteren namentlich nicht genannten Person – es darf angenommen werden, dass es sich hierbei um Karl Menge handelte, der in der Einwohnerkartei selbst nicht vermerkt ist. Frau Menge stellte an diesem Tag handschriftlich den Antrag an das Wohnungsamt Mühlhausen, eine Wohnung im Haus Windebergerstr. 106 zugewiesen zu bekommen - offensichtlich wurde am 21.05.1946 diesem Antrag stattgegeben. 

Am 11.11.1953 wohnt Frau Menge im Haus Sondershäuser Straße 52 (Mühlenbetrieb „Kreuzmühle“ der Familie Wender) und stellt erneut einen Antrag auf einen Wohnungswechsel, jetzt zu dieser Adresse: An der Burg 9.

Karl Menge wohnte sicher auch unter den beiden letztgenannten Anschriften. Die Wohnung an „An der Burg 9“ verließ er offensichtlich schon am 30.11.1952. Dies alles ergibt sich aus einer Haushaltskarte, auf der Karl Menge namentlich zusammen mit seiner Ehefrau eingetragen ist und auf der Bezugsscheine (Lebensmittelkarten) vermerkt sind. An diesem Datum des Wegzugs ist der Hinweis „Oranienburg“ angebracht – möglicherweise handelt es sich hier um das "Sowjetische Speziallager Sachsenhausen-Oranienburg", in dem die Sowjets Funktionsträger des 3. Reiches internierten. Damit verliert sich die Spur des Ehepaares in der damaligen DDR. 

Laut Auskunft des Historischen Stadtarchivs Köln kam Menge am 26.08.1953 dort zur Anmeldung. Als mögliche Zwischenstationen sind die Auffanglager für DDR-Flüchtlinge Wentdorf oder Warburg vermerkt. Laut Eintrag auf dem Einweisungsschein wohnte Menge in der DDR zuletzt in Mühlhausen/Thüringen.

Im Archiv der Gemeinde Wentorf (heute Ortsteil von Schwarzenbek) befindet sich bezüglich Menge eine Karteikarte des Auffanglagers Wentorf mit diesem Vermerk: „Von Lager Warburg über Wentorf am 25.8.53 nach S.K. Köln mit Registrierschein eingewiesen". Hier ist als letzter Wohnort in der DDR Frankenhain/Sachsen-Anhalt angegeben – Orte mit diesem Namen in dem fraglichen Gebiet gibt es nur in Sachsen (heute Ortsteil von Frohburg) und Thüringen (heute Ortsteil von Geratal). Wann Menge im Lager Warburg eintraf, ist nicht bekannt. 

Somit kann über den Aufenthalt von Menge vom 30.11.1952 bis zum 25.08.1953 im Moment nur spekuliert werden: Ist er direkt in den Westen gegangen? War er im Lager der Sowjets und wie ist er von dort weggekommen? Eine Antwort auf meine Anfrage bei der Gedenkstätte Sachsenhausen ergab, dass Menge dort unbekannt ist.

Es ist zu vermuten, dass der Zeitpunkt der Übersiedlung von Menge aus der DDR mit der allgemeinen Amnestie der Briten im Jahr 1953 zu tun hat. Er kam in Köln zur Anmeldung zwei Tage nach der Haftentlassung des letzten in dieser Sache verurteilten und inhaftierten Täters, der eigentlich noch 14 Jahre abzusitzen hatte.

Menges Ehefrau ist, von Mühlhausen/Thüringen kommend, am 27.10.1954 als Zuzug in Köln vermerkt (Quelle: Auskunft Historisches Stadtarchiv Köln). Im Adressbuch von Köln erscheint Menge erstmals in der Ausgabe von 1958 unter der Adresse Koburger Straße 6, später unter Görrestraße 3.

Unter der Adresse Görrestraße 3 verstarb Menge am 02.08.1967 (Standesamt Köln, Urkunden-Nr. 1363) – seine Ehefrau am 19.04.1976. Sie war hier amtlich gemeldet: Pfälzer Straße 2-4, Köln, verstorben ist sie im Krankenhaus der Augustinerinnen in Köln, Jakobstraße 27-31 (Standesamt Köln, Urkunden-Nr. 531). Alle Versuche, Einzelheiten über das Leben von Menge in Köln zu erfahren, blieben bisher ohne Erfolg.

 

Anmerkungen zur Schuldfrage

 

Die Befehlslage, wie mit gefangenen alliierten Fliegern umzugehen war, kann nicht mit dem Prädikat „eindeutig“ versehen werden. Sicher scheint jedoch, dass letztendlich die Personen über Leben oder Tod entschieden, in deren Obhut sich die Gefangenen befanden:

Ein geheimer Tötungsbefehl soll vom Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, gekommen sein, ein entsprechendes Schriftstück ist jedoch nicht bekannt geworden. Eine abschließende Beurteilung, wie sehr untere Dienstränge von Vorgesetzten unter Druck gesetzt wurden, ist nicht möglich. Bekannt sind jedoch überaus viele Fälle, so auch im Kreis Marburg-Biedenkopf, bei denen dieser Befehl nicht beachtet wurde, ohne dass hierfür irgendjemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Lynchmorde gab zwar viel zu viele, waren aber eher doch Ausnahmefälle. Somit darf angenommen werden, dass dieser imaginäre Befehl eher dazu diente, Morde zu rechtfertigen, die bei weitem nicht in allen Teilen der Bevölkerung als Unrecht empfunden wurden.

Von einer vollkommen anderen Befehlslage ist in dem Buch von Herfried Münkler, „Machtzerfall; Die letzten Tage des Dritten Reiches“ zu lesen: Am 19.07.1944 weist der Gauleiter Jakob Sprenger in seiner Eigenschaft als Reichsstatthalter für Hessen ausdrücklich darauf hin, dass abgesprungene Flieger Anspruch auf eine Behandlung als Kriegsgefangene gemäß den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung hätten und alle Polizeibeamte in Hessen entsprechend zu unterrichten seien. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und Linientreue von Sprenger darf hinter diesem Hinweis eher nur ein „Schaufensterbekenntnis“ vermutet werden, dürfte aber auch denjenigen, die vor Ort keine Morde begehen wollten, diese Entscheidungsfreiheit lassen ... etwas „Rückgrat“ vorausgesetzt.

Zu dieser Thematik gibt es noch einen dritten Aspekt in Form eines konkret vorliegenden geheimen Rundschreibens des Führerhauptquartiers vom 30. Mai 1944, unterschrieben vom Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP im Rang eines Reichsministers, Martin Bormann, das an alle Reichsleiter, Gauleiter, Verbandsführer und Kreisleiter ging. In diesem Schreiben gibt es weder einen Tötungsbefehl, noch einen Hinweis auf die Haager Landkriegsordnung oder die Genfer Abkommen. Es wird „nur“ bestimmt, dass gegen Deutsche, die in Gefangenschaft geratene englische oder amerikanische Piloten gelyncht haben, nicht ermittelt wird. Diese Anordnung stellt fraglos den Leuten einen Freibrief aus, die keine Skrupel damit haben, wehrlosen Kriegsgefangenen eine Kugel in den Kopf zu jagen. Es bleibt die Feststellung, dass durch den immer wieder ins Feld geführten „Befehlsnotstand“ die Taten weder zu entschuldigen noch zu rechtfertigen sind. Bedarf es überhaupt einer gesetzlichen Bestimmung um zu wissen, dass man wehrlose Gefangene, die sich ganz bestimmt nicht freiwillig in die Gerfahr begeben haben, über Deutschland abgeschossen zu werden, nicht töten darf? 

Robert Steiner, im Dezember 2020

 
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Der Mord an Paul Josef Roberts am 15.10.1944
 bei Friedensdorf
mit Ergänzungen von Willi Balzer, Buchenau


Zunächst die bereits bekannten Fakten:

Absturz eines einmotorigen amerikanischen Jagdflugzeugs 

Ort:                        Schiffelbach, Gemarkung „Gerlachshain”
Datum:                   07. Oktober 1944
Uhrzeit:                   ca. 13.30 Uhr
Flugzeugtyp:           Republic P-47 D-15 RE „Thunderbolt”
Werknummer:         42-76177
Kennung:                Q I (Stern) P
Motor:                     1 luftgek. Pratt&Whitney R-2800-59 Doppelsternmotor
Einheit:                   361. Fighter Squadron in der 356. Fighter Group
Startflughafen:        Martlesham Heath, Suffolk (England)
Pilot:                       1stLt. Paul Joseph Roberts Jr.
Erkennungsmarke:   O-1283139
Geburtsdatum:        10. Oktober 1922
Geburtsort:             Tacoma, Washington (USA)
Verbleib:                 Am 15.10.1944 bei Friedensdorf erschossen
Grablage:                Arlington (USA)
Absturzursache:       Flaktreffer durch Flugplatzflak Fri
tzlar

 



First Lt. Paul J. Roberts Jr.

*10. Oktober 1922 in Tacoma, WA, USA
+15. Oktober 1944 bei Buchenau (Lahn)
(Foto: Hans-Joachim Adler, Frankenau)
 

Am 7. Oktober 1944 griffen Teile der 361. US-amerikanischen Fighter Squadron den Flugplatz in Fritzlar an. Nachdem sie ihren Begleitauftrag für die viermotorigen Bomber beendet hatten, sahen die Piloten auf dem Rückflug den mit Nachtjägern des Nachtjagdgeschwaders 1 belegten Flugplatz und flogen mehrere Tiefangriffe. Aus einer Höhe von etwa 20.000 Fuß und einer leichten Linkskehre flogen die Piloten in ihren Republic P-47 „Thunderbolt” Ziele auf dem Flugfeld von Osten nach Westen an. Nach Angaben der Angreifer wurden 16 Me 110, eine Ju 88, eine Hs 123 und drei weitere ihnen unbekannte deutsche Maschinen zerstört oder beschädigt.

Nachdem der US-Pilot, 1st.Lt. Freeman F. Hooker, beim ersten Überflug seinen eigenen Schwarm aus den Augen verloren hatte, schloss er sich einem anderen Schwarm zu zwei weiteren Überflügen an. Während des ersten dieser Angriffe hörte er im Funksprechverkehr die Stimmen von zwei Piloten, die meldeten, getroffen worden zu sein, und während des dritten Angriffs hörte er noch die Stimme eines weiteren Piloten, der ebenfalls angab, Treffer erhalten zu haben. Die leichte Flak auf und um den Flugplatz hatte die Angreifer in ihre Visiere genommen und einige tausend Schuss abgegeben. Lt. Hooker entdeckte eine der getroffenen Maschinen und setzte sich in einer Höhe von etwa 2.000 Fuß neben sie, teilte dem Piloten über Funk mit, dass sein Motor stark rauche und es besser sei, wenn er mit dem Fallschirm abspringe. Die rauchende Maschine verlor immer mehr an Höhe, und dann, bei etwa 1000 Fuß, verließ der Pilot seine „Thunderbolt” über die rechte Seite.

Die nun führerlose Maschine senkte sich leicht und ging in großen Spiralen zu Boden. Der Fallschirm des abgesprungenen Piloten öffnete sich und brachte diesen sicher in einem Waldgebiet zu Boden. Die Maschine schlug nach einer letzten Drehung um 13.30 Uhr mit der Frontpartie zuerst auf dem Boden auf. Ein Aufschlagbrand konnte nicht beobachtet werden. Noch zwei- bis dreimal Überflog Lt. Hooker die Aufschlagstelle und konnte dabei Zivilisten am Boden erkennen, die sich aus einer Entfernung von etwa 1,5 km der Aufschlagstelle näherten. Dann flog Hooker zurück in Richtung Flugplatz Fritzlar, von wo er seinen Rückflug begann.

Der Pilot in der abgeschossenen Maschine war der am 10. Oktober 1922 in Tacoma im US-Staat Washington geborene 1st.Lt. Paul Joseph Roberts Jr., ausgezeichnet mit dem Distinguished Flying Cross, der Air Medal mit vier Eicheln und dem Purple Heart. Er sollte seine Heimat nicht wiedersehen.

Die Maschine, eine bei Republic in Farmingdale, New York, gebaute P-47 D-15 RE „Thunderbolt” mit der Werknummer 42-76177, stürzte in der Gemarkung Gerlachshain bei Schiffelbach ab und wurde beim Aufschlag zertrümmert. Paul J. Robert Jr. landete nur etwa 200 Meter von der Aufschlagstelle entfernt, entledigte sich seines Fallschirms und konnte entkommen. Die von den deutschen Behörden sofort eingeleiteten Suchaktionen blieben erfolglos, nur der Fallschirm mit der Aufschrift „Lt. Roberts” auf der Tasche wurde entdeckt. Die Trümmer der abgestürzten Maschine wurden bis zum 9. Oktober von der Landwacht Schiffelbach bewacht und dann von der Werftabteilung Wohra abtransportiert. Von dem Piloten aber fehlte zunächst jede Spur.

Nachdem die Amerikaner Ende März 1945 das Gebiet erreicht hatten, begannen die Nachforschungen. Dabei stieß man auf deutsche Unterlagen aus dem Oktober 1944, die die Grablage von Lt. Paul J. Roberts mit dem Friedhof in Friedensdorf angaben. Als Todestag wurde der 15.10.1944, also gut eine Woche nach dem Absturz, genannt. Die Meldung an den Fliegerhorst Gießen beinhaltete noch den Zusatz: „Leiche im Raum Gießen geborgen”.

Aufgrund dieser Differenz zwischen Absturztag und Todestag folgten weitere sehr intensive Nachforschungen im Raum um Friedensdorf. Die Aussage eines Friedensdorfers an die amerikanischen Streitkräfte, dass der Pilot erschossen worden sei, war der Beginn einer großangelegten Aktion in Friedensdorf, bei der wahllos Bürger auf der Straße aufgegriffen wurden, um den Leichnam auszugraben. Bei der Untersuchung des Toten wurde zweifelsfrei festgestellt, dass er durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe ums Leben kam.

Was aber war nun wirklich geschehen?

Lt. Roberts landete unverletzt und versuchte, nach Westen zu entkommen. Die amerikanischen Streitkräfte waren nicht mehr allzu weit von der deutschen Westgrenze entfernt. Zunächst entkam er auch. Am 15.10.1944, also acht Tage später, wurde er in der Nähe von Buchenau festgenommen. In der Gemarkung "Wolfsgeschirr" fand ein Spaziergänger Ausrüstungsgegenstände, die darauf schließen ließen, dass sich ein feindlicher Flieger noch vor kurzem dort aufgehalten hatte. Der Spaziergänger nahm die Sachen an sich und brachte sie zur Ortspolizei, wo er sofort Meldung erstattete. Ein weiterer Spaziergänger meldete, dass er in der Gemarkung "Saunest" einer verdächtigen Person begegnet sei, die ihn in gebrochenem Deutsch angesprochen und nach dem Weg gefragt habe. Die Ortspolizeibehörde meldete dies sofort an das Landratsamt, welches unverzüglich die Kreisgendarmerie in Bewegung setzte.

Landwacht und Einwohner machten sich auf die Suche. Noch vor Einbruch der Dämmerung wurde Roberts gefangengenommen, ins Rathaus geführt und dort verhört. Der Besitzer der Carlshütte, Herr Schmidt, der längere Zeit in Amerika gelebt hatte, übersetzte die Fragen und Aussagen. Nach dem Verhör wurde Roberts ins Spritzenhaus gesperrt und der zuständigen vorgesetzten Dienststelle der gesamte Vorgang gemeldet. Der anwesende Gendarmeriekreisführer und Oberleutnant Karl Menge soll während des Verhörs mehrfach darauf gedrungen haben, dass der Pilot erschossen werde. Aus Biedenkopf soll die Aussage von der vorgesetzten Polizeidienststelle gekommen sein, dass man den Terrorflieger nicht lebend sehen wolle.

Der Gendarm, Wilhelm Dietermann, der in Friedensdorf stationiert war, wurde nach Buchenau beordert und von Menge mit der Frage konfrontiert, ob ihm der Befehl des Reichsführers-SS Himmler bekannt sei, dass alliierte Flieger nicht lebend gefangengenommen werden sollten. Dietermann bejahte dies und führte Roberts in Richtung Friedensdorf ab, nachdem ihm die Arme auf den Rücken und die Füße gefesselt worden waren. Unterwegs lockerte Dietermann die Fußfesseln, um dem Gefangenen ein schnelleres Gehen zu ermöglichen.

Bei seinen Vernehmungen durch die amerikanische Gerichtsbarkeit gab Dietermann weiter an, dass der Gefangene ihn auf dem Weg durch die Dunkelheit plötzlich angegriffen habe. Der Amerikaner habe ihm in den Schritt gefasst und sein Handgelenk umgedreht. Dietermann konnte die Angriffe aber abwehren, und man setzte den Weg gemeinsam fort, bis man an der Straße nahe der Brücke zur Carlshütte auf einen Wagen stieß, in dem auch Menge saß. Mit diesem Wagen befuhr man daraufhin die Straße bis zu einer nahegelegenen Kreuzung. An dieser Kreuzung stiegen Menge, Dietermann, der amerikanische Pilot und ein weiterer Mann aus. Menge übergab Dietermann die von Roberts konfiszierte Waffe und entfernte sich mit den Worten: „Hier haben Sie eine Pistole, verpassen Sie dem Kerl einen Schuss in den Kopf.”

Roberts begriff, was jetzt geschehen sollte und griff Dietermann an. Es gelang ihm auch, diesen auf den Boden zu stoßen. Dietermann selbst schlug zunächst mit der Waffe auf den Flieger ein und schoss ihm schließlich in den Kopf. 

 

 

 Übersichtskare von GoogleEarth

 

Blick vom Tatort auf die B62 - der letzte Weg von Roberts
(Foto: Willi Balzer)

Der Tote wurde am nächsten Tag in einer Holzkiste auf einem abgelegenen Teil des Friedhofs in Friedensdorf beigesetzt. Wilhelm Dietermann und Andreas Ebling, der als vierter Mann an dem Geschehen beteiligt war, wurden von den Amerikanern vor Gericht gestellt. Der Prozess fand am 10. und 11. Oktober 1945 im Grandhotel in Heidelberg statt. Beide plädierten auf „nicht schuldig”. Andreas Ebling wurde auch für „nicht schuldig” befunden und freigesprochen. Dietermann gab an, nur in Notwehr geschossen zu haben, da der Amerikaner ihn angegriffen habe. Die Gerichtskommission erkannte diese Version aber nicht an und verurteilte Wilhelm Dietermann zum Tode durch den Strang - eine Urteilsbegründung in englischer Sprache liegt uns vor. Das Todesurteil wurde am 09. November bestätigt und die Hinrichtungsmethode auf Tod durch Erschießen umgewandelt, da der Amerikaner zuerst den Deutschen angegriffen habe. Nochmals 20 Tage später aber empfahl eine weitere Überprüfungskommission die Hinrichtungsmethode wieder in Tod durch Erhängen umzuwandeln. Am 12. Januar 1946 wurde Wilhelm Dietermann in Bruchsal am Galgen hingerichtet und drei Tage später dort beigesetzt. Im April wurde sein Leichnam in seinen Heimatort Oberscheld überführt, wo er seine letzte Ruhestätte fand. Was mit dem damaligen Gendarmeriekreisführer Karl Menge geschah, konnte bisher nicht geklärt werden. Er war am Ende des Krieges untergetaucht oder gefallen und entging so der amerikanischen Gerichtsbarkeit. Der Leichnam von Paul J. Roberts Jr. wurde im April 1945 nach seiner Exhumierung in Friedensdorf zunächst nach Eisenach überführt, wo er am 01. Mai 1945 erneut beigesetzt wurde. Nachdem bekannt wurde, dass dieses Gebiet den Sowjets übergeben werden sollte, wurde er nach Margraten in den Niederlanden überführt. Aber auch dort fand er nicht seine endgültige Ruhestätte. Im Jahr 1948 wurde er erneut exhumiert und in seine Heimat überführt. Dort ruht er heute auf dem Heldenfriedhof in Arlington. Unsere Suche nach Angehörigen des Getöteten blieb bisher erfolglos. In den Vereinigten Staaten gibt es einen Schießwettbewerb mit dem Namen „Paul J. Roberts Jr. Trophy”. Der Pokal für dieses Schießen wurde vom Vater des Fliegers ins Leben gerufen. Doch leider konnte man uns auch dort bisher nicht weiterhelfen. 

Ergänzungen von Willi Balzer

Im Sommer 2015 sammelten wir mit einem Arbeitskreis zum 777jährigen Dorfjubiläum von Buchenau Fotos und Dokumente von den Gefallenen aus Buchenau und Elmshausen. Neben diesen Gefallenen wollten wir auch den ermordeten jüdischen Mitbürgern und anderen Opfern des Naziregimes gedenken. Bei den Recherchen dazu fiel mir auch die Chronik des Hauptlehrers Jost Barth in die Hände. Darin schilderte er folgenden Vorfall, bei dem sich ein amerikanischer Pilot während des Absturzes seines Flugzeugs am Samstag, dem 07. Oktober 1944 bei Gilserberg mit dem Fallschirm retten konnte. Nach tagelanger Flucht durch die Wälder wurde er am Sonntag, dem 15.10.1944 in Buchenau als feindlicher Pilot erkannt und festgenommen.

Hier die Aufzeichnung des Hauptlehrers Barth: 

„An verschiedenen Orten der näheren und weiteren Umgebung stürzten feindliche und eigene Flugzeuge ab. Soweit die feindliche Besatzung beim Absturz noch am Leben war und man ihrer habhaft werden konnte, brachte man sie in Gewahrsam. Bei Flüchtigen wurde die "Landwacht" aufgeboten, welche die Wälder absuchen und die Straßen überwachen musste. Am Sonntag, dem 15. Oktober 1944 fand der Elektromonteur Heinrich Barth mit seiner Frau auf dem Spaziergang in der Nähe des "Wolfsgeschirrs" Ausrüstungsstücke eines feindlichen Fliegers. Aus den Umständen bei der Auffindung schloss er, dass sich ein solcher vor kurzer Zeit hier aufgehalten haben müsse, ging zum Bürgermeister und erstattete Meldung. Bald kam ein weiterer Spaziergänger, Johannes Grebe aus Gasse Haus und teilte mit, dass ihm im "Saunest" eine verdächtige Person begegnet sei, die ihn in gebrochenem Deutsch angesprochen und nach dem Weg gefragt habe. Der Bürgermeister informierte sofort das Landratsamt, das die Kreisgendarmerie in Bewegung setzte. Landwacht und Einwohner machten sich auf die Suche, und bei Einbruch der Dämmerung hatte man den feindlichen Krieger, einen amerikanischen Offizier, gefangen, der im Rathaus verhört wurde. Hüttenbesitzer Schmidt, Carlshütte, der lange Jahre in Amerika gelebt hat, spielte den Dolmetscher.  Beim Verhör machte sich die Erregung der Einwohnerschaft angesichts der fortdauernden Bombardierung deutscher Städte mit Phosphor, Brand- und Sprenggranaten in besonderer Weise Luft. In den Abendstunden wurde der Gefangene von dem in Friedensdorf stationierten Gendarm Dietermann nach Friedensdorf geführt, erreichte dieses aber nicht lebend. Am nächsten Morgan wurde der mit Fallschirm abgesprungene feindliche Offizier auf dem Gottesacker in Friedensdorf bestattet.“

Aufgrund dieser Informationen wollte ich mehr über den Tod des Piloten und über die spätere Gerichtsverhandlung gegen Wilhelm Dietermann, die am 10. und 11.10.1945 im Grandhotel Heidelberg stattfand, erfahren. Zeitzeugen waren im Jahr 2018 nicht mehr zu ermitteln. Ich recherchierte im Internet und wurde fündig. Auf der Seite „Fliegerschicksale über Lumda, Lahn und Ohm“, welche von Ulrich Dörr, Horst Jeckel und Dirk Sohl aus Ebsdorfergrund eingerichtet wurde, ist der Vorfall wie oben beschrieben.

Dazu fand ich im Internet die englischsprachige Abschrift der Urteils-begründung dieses Prozesses, aus der sich die wesentlichen Fakten der Geschehnisse vom 15.10.1944 ergeben (siehe: https://www.online.uni-marburg.de/icwc/dachau/000-012-0643.pdf). 

Durch telefonische Recherchen konnte ich einen Enkel des Wilhelm Dietermann in Oberscheld finden und im April 2019 aufsuchen. Dankwart Dietermann, welcher in 1938 geboren wurde, übermittelte mir die persönlichen Lebensumstände seines Großvaters: 

Mein Großvater Wilhelm Dietermann, geb. im Jahr 1890 betrieb einen Steinbruch in Oberscheld. Zu Beginn des Krieges wurde er als Angehöriger der Polizeireserve nach Friedensdorf versetzt, wo er dann seinen Dienst versah. Nach dem Einmarsch der Amerikaner im April 1945 hielt er sich wieder bei uns in Oberscheld auf und bewohnte mit Frau Anna und meiner Mutter Irmgard und mir zusammen ein eigenes Haus. Mein Vater Heinrich Dietermann (geb. 1914) war zu dieser Zeit in russischer Gefangenschaft, aus welcher er erst 1950 heimkehrte. Ich erinnere mich noch genau, als mein Opa im Spätsommer 1945 verhaftet wurde. Ein Jeep mit mehreren MP-Soldaten fuhr auf den Hof, legte ihm Handschellen an und brachte ihn weg. Wir erfuhren erst später, warum er verhaftet wurde. Er hatte uns gegenüber nie von den Vorkommnissen in Friedensdorf erzählt. Meine Oma, meine Mutter und ich durften Opa dann einige Male im Herborner Gefängnis besuchen. Ich erinnere mich, dass er uns nach dem Verlassen des Gebäudes immer aus seinem Zellenfenster zuwinkte. Später wurde er dann nach Heidelberg verlegt, wo die Gerichtsverhandlung am 10. Und 11. Oktober 1945 stattfand. Wir wurden danach benachrichtigt, dass Opa zum Tode verurteilt worden sei. Nach dem Prozess befand er sich bis zur Vollstreckung der Todesstrafe im Bruchsaler Gefängnis. Am Tage vor seiner Hinrichtung durften Oma und meine Mutter ihn noch einmal in diesem Gefängnis besuchen. Mein Großvater war am Tag der Vollstreckung des Todesurteils am 12. Januar 1946 im 55. Lebensjahr. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, den ich hiermit zur Veröffentlichung freigebe. Dieser zeigt uns, wie ihn das Geschehene belastete und in welchem Zwiespalt er war. Er war der festen Überzeugung, dass er aufgrund des Tötungsbefehls des vorgesetzten Kreispolizeichefs Menge keine andere Wahl hatte.“






 

Leseabschrift:

 

 Bruchsal, den 11. Januar 1946, 13:00 Uhr

 

Abschiedsbrief

 

Liebe Frau, Irmgard und meine Kinderchen alle,

kaum 2 Stunden später als wir Abschied voneinander genommen hatten, wurde mir das rechtskräftige Urteil mitgeteilt. Ich hatte die ganze letzte Nacht gebetet, dass mir Gott doch noch einmal jemand schicken solle. Gott hatte mich erhört und Euch meine Lieben noch einmal in letzter Stunde geschickt. Ich meine das Herz müsste mir brechen bei diesen Zeilen. Ich muss nun unschuldig sterben und die Schuldigen sind auf freiem Fuß. Nun ihr Lieben, im Himmel sehen wir uns wieder. Bleibt Euch schön einig und vertraut auf Gott. Grüßt mir unser Rosa und Peter viel 100.000 Mal, auch meinen lieben Günter und Herbert. Wenn Heinrich wiederkehrt, drückt ihn in meinem Namen und küsst ihn mit vielen 100.000 Küssen von seinem Vater. Grüßt mir alle guten Bekannten, noch einmal Besonders Weges in Friedensdorf, die hätte ich gern noch einmal gesprochen und hätte mich bei Ihnen bedankt, weil ich dort den Herrn Jesus wiedergefunden habe. Nun bitte ich Euch alle noch: Vergebt mir alles, wenn ich etwas Unrechtes getan habe und lasst den Kindern nichts fehlen und haltet sie an zum Gebet.

 

Ich sterbe als Deutscher unschuldig und aufrecht und freue mich auf ein Wiedersehen im Himmel mit Euch meinen Lieben alle. Froh war ich, dass ich die letzte Nacht meines Lebens mit Euch bei den Lieben in einer Stadt zusammen war, wenn auch nicht direkt aber in unmittelbarer Nähe. Man sieht auch hier: Gottes Wege sind wunderbar. Es ist jetzt 24:00 Uhr. Ich wünsche Euch allen meinen Lieben alles herzliche Gute, vertraut auf Gott der wird alles richtig machen.

 

Nun lebt alle wohl meine Lieben. Es ist jetzt der 12.01.46, morgens 7 Uhr. Die Nacht habe ich durch Beten für Euch meine Lieben alle beschlossen.

Auf Wiedersehn im Himmel meine Lieben Euer Vater und Großvater Meine Kameraden sind: Karl Bloch, Beltershain bei Grünberg (Oberhessen) und Dominikus Thomas aus Wollendorf Post Fahr Irlich bei Neuwied Rhein.



Wilhelm Dietermann
1890 - 1946
(Quelle: Enkel Dankwart Dietermann, Oberscheld) 

 

Weiterhin erhielt die Ehefrau von Dietermann einen Brief des Gefängnispfarrers Dr. Scheuerpflug, der Dietermann auf seinem letzten Weg begleitet hatte. Eine Kopie des Originals liegt mir ebenfalls vor – hier eine Leseabschrift:

 Bruchsal, den 12.01.1946

Liebe Frau Dietermann,
es wird mir unheimlich schwer, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Besuch bei Ihrem lieben Mann die letzte, aber ganz große Freude für Ihn gewesen ist. Denn wie Ihnen schon von der amerikanischen Amtsstelle eröffnet wurde, ist heute das Urteil vollstreckt worden. Zwei Stunden nach Ihrem Weggang wurde Ihrem Gatten, wie noch zwei weiteren Männern, durch amerikanische Gerichtsoffiziere bekannt gegeben, dass innerhalb 24 Stunden das Todesurteil vollzogen werde. Ich wurde alsbald davon verständigt und konnte nun unbehindert Ihrem Mann nahe sein. Er war bewundernswert gefasst und nahm den Trost und die Kraft aus Gottes Wort mit gläubigem Herzen entgegen. Am Freitagnachmittag und am späten Abend weilte ich ebenso in seiner Zelle wie am Samstagmorgen, wo wir das Heilige Abendmahl feierten und am Samstagmittag vor dem letzten Gang. Die Geschichte von Jesus in Gethsemane las ich ihm ebenso vor wie die Selig- preisenden Bibelworte und die Trostlieder unseres Gesangbuches machten seine Seele stille und stark. Unbehindert von dem amerikanischen Vollzugskommando begleitete ich ihn zur Richtstätte und sprach ihm Gottes Trost und Verheißung zu. Mit langem innigem Händedruck schieden wir als er das Gerüst bestieg. Der Tod erfolgte rasch und sofort. Nun ist er daheim und frei. Als seinen letzten Wunsch bat er mich Ihnen zu übermitteln: Sie müssen mit Ihrer Schwiegermutter im Hause friedlich und gut zusammenleben. Dieser Wunsch ist gewissermaßen sein Testament. Unauslöschlichen Dank beseelte ihn auch für Familie Wege in Friedensdorf wo er Zuflucht und Frieden mit Gott gefunden hat. Ich werde seinem Wunsche entsprechend auch an diese lieben Leute schreiben. Sein letzter Gedanke und sein innigstes Gebet galten Ihnen, den Kindern und Enkeln. Ich weiß welches Weh ich Ihnen mit diesen Zeilen bereiten muss. Holen auch Sie sich Kraft aus dem Gebet und Gottes Wort und seien Sie gewiss, dass nichts uns scheiden kann von Gottes Liebe. Über ein kleines so werden wir mit unseren Lieben, die uns im Tod vorangingen wieder vereint sein, in dem Land da Friede und Gerechtigkeit und Seligkeit herrscht. Ihr Mann ging als betender, gläubiger Christ in den Tod. So wie er vergeben hat seinen Schuldigern sollen auch Sie alle Bitterkeit überwinden und auch diesen furchtbaren Ausgang aus Gottes (Hand?) nehmen. Religiöse Brüder hatte Ihr Mann stets zur Verfügung, nahm an unseren Gottesdiensten treulich teil. Seine persönlichen Hinterlassenschaften werden Ihnen von der Anstalt zugesandt. Mir selbst übergab Ihr Gatte sein eigenes Neues Testament und die Briefe die er von Ihnen erhalten hat. Ich schicke sie mit gleicher Post an Sie ab. In fürbittendem Gedenken bin ich mit stillem Gruß Ihr Dr. Scheuerflug, Pfarrer. Am 15.1. vormittags 11:30 Uhr werde ich Ihren Mann hier beerdigen.

Dr. August Scheuerpflug, *28.07.1896 in Rastatt, †23.10.1983 in Bruchsal war evangelischer Pfarrer in Bruchsal von 1935 bis 1965.


Das Schriftbild der beiden Briefe zeigt, dass auch der Abschiedsbrief von Wilhelm Dietermann vom Gefängnispfarrer Dr. Scheuerflug geschrieben wurde. Vermutlich konnte oder wollte Dietermann aufgrund der bevorstehenden Hinrichtung nicht mehr selbst schreiben und er hat die Zeilen diktiert. In diesem Abschiedsbrief äußert Wilhelm Dietermann wörtlich: „Ich muss nun unschuldig sterben und die Schuldigen sind auf freiem Fuß.“  Mit Schuldigen meint er mit Sicherheit unter anderem seinen Vorgesetzten, den Bezirksleutnant der Gendarmerie Biedenkopf, Karl Menge, welcher ihm nach seinen Angaben den Befehl zum Erschießen des Piloten gegeben habe. Unmittelbar bevor die amerikanischen Streitkräfte in Biedenkopf eintrafen floh Menge und entzog sich damit der Strafverfolgung.


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Chronologische Aufstellung der Ereignisse
und ergänzende Angaben zu den
Morden an John Scott und Neil McGladrigan
  im Zusammenhang mit dem Abschuss
vom 06.12.1944 in Erdhausen / Landkeis Marburg-Biedenkopf.
Eingefügt wurden die Fakten, die sich aus derAuswertung
der im Nationalarchiv London befindlichen Akten zu
diesem Vorgang ergeben haben.

Robert Steiner, Ebsdorfergrund

 

Ort:                        Gladenbach-Erdhausen, am nördlichen Rand des Dorfes
Datum:                   06.12.1944
Uhrzeit:                   ca. 20:20 Uhr
Flugzeugtyp:           Avro Lancaster B.I
Werknummer:         PD264
Hersteller:               Metropolitan-Vickers Ltd., Trafford Park, Manch.
Motoren:                 4 wassergekühlte 12 Zylinder Rolls-Royce Merlin XXIV
Einheit:                   No. 57. Squadron, No. 5 Group
Kennung:                D X (Kokarde) K
Heimatflughafen:     East Kirkby in Lincolnshire
Startzeit:                 16.30 Uhr
Angriffsziel:             Gießen - Innenstadt
Absturzursache:       Nachtjägerbeschuss

Besatzung:
Pilot: F/O William Riddell (RAF), *09.05.1922 in Aberdeenshire, Schottland - gefallen

Bordmechaniker: Sgt. John Scott (RAF), 24 Jahre, aus Lossiemouth Morayshire, Schottland – ermordet

 


Sgt. John Scott
(Foto: https://aircrewremembered.com/riddell-william.html)


Navigator: F/S Peter Douglas Mann (RAF), 23 Jahre, aus Wimbledon Park in Surrey, England - gefallen

Bombenschütze: F/S Neil F. D. McGladrigan (RAAF),*08.12.1922, aus Kallangur, Queensland, Australien - ermordet


 


FS Neil MacGladrigan
(Foto: https://www.awm.gov.au/collection/R1721895)

 

Bordfunker: F/S Frank A. Black (RAAF), 31 Jahre, East Brisbane, Queensland, Australien - gefallen

Mittelturmschütze: Sgt. Robert Shaw McKillop (RAF), 20 Jahre, Stirling, Schottland - gefallen

 


 Sgt. Robert Shaw McKillop   

 (Foto: https://aircrewremembered.com/riddell-william.html)

Heckschütze: Sgt. John Forward (RAF) - Gefangenschaft

 


Sgt. John Forward
(Foto: https://aircrewremembered.com/riddell-william.html)

Dieses Foto wurde dort von Amy Hirons zur Verfügung gestellt.
Auf der Seite
https://onenightindecember.Wordpress.com/2018/01/21/26-erdhausen/
behauptete diese Frau, eine Enkelin von Forward zu sein
- bisher sind jedoch alle Versuche einer Kontaktaufnahme mit dieser Person gescheitert.

Am Abend des 6. Dezember 1944 wurde bei einem Luftangriff auf Gießen die Stadt von Einheiten einer britischen Bomberflotte weitgehend zerstört. Man hatte sich für diesen Angriff, an dem ca. 250 Flugzeuge beteiligt waren, den Codenamen Hake („Hecht“) ausgedacht. Die zahlenmäßig unterlegene deutsche Luftwaffe versuchte dagegen zu halten und so konnte Feldwebel Liersch von der 11. Staffel des Nachtjagdgeschwader 6 nach seinen Luftsiegen von 20.17 Uhr und 20.19 Uhr einen dritten Erfolg in dieser Nacht vermelden.

Um 20.20 Uhr schoss er nordwestlich von Gießen einen weiteren Bomber ab, der nicht weit von der Absturzstelle am Dreisberg bei Mornshausen nun am nördlichen Dorfrand von Erdhausen aufschlug. Die um 16.30 Uhr vom Einsatzhafen East Kirkby in Lincolnshire, England, gestartete Maschine hatte ihre Bombenlast, bestehend aus einer 4000 lb. Luftmine und 1950 4lb. Stabbrandbomben, schon ausgeklinkt und befand sich auf dem Rückflug, als der deutsche Nachtjäger die Maschine zum Absturz brachte.

Das Besondere an diesem Abschuss ist, dass zwei der drei Besatzungsmitglieder, die sich mit dem Fallschirm retten konnten, ermordet wurden und die Täter sich vor einem britischen Kriegsgericht zu verantworten hatten.

Zu diesem Vorfall befinden sich im Nationalarchiv London-Kew diese Akten:
WO 235/395 (liegt vor, 416 Einzelseiten in Auswertung)
WO 235/719 (liegt vor, 124 Einzelseiten in Auswertung).
Diese beiden Akten wurden vom ICWC (Internationales Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse, Philipps-Universität Marburg, Universitätsstraße 7, 35032 Marburg) in London abfotografiert und zur Verfügung gestellt. Ein besonderer Dank an den Geschäftsführer, Herrn Dr. Wolfgang Form.

WO 309/1367 (liegt vor, 125 Einzelseiten in Auswertung)
WO 311/434 (liegt vor, 112 Einzelseiten in Auswertung)
WO 309/914 (Foto von Karl Menge, Akte mit 108 Seiten liegt vor).
Akten, die nur das Ereignis betreffen (Titel ohne Namen, Suche mit „Gladenbach“):
TS 26/664 (1939-1945, liegt vor, Beschuldigtenvernehmungen Aug. 45, außer Michel, Obduktion McGladrigan
WO 309/228 (Betrifft Gladenbach 1946/47, 416 Seiten DIN A 3, Inhalt unbekannt)
WO 309/680 (Betrifft Gladenbach 1946/47, 182 Seiten in Auswertung)
WO 309/681 (Betrifft Gladenbach 1947/48, 74 in Auswertung)
WO 309/1552 (Betrifft Gladenbach/Weidenhausen 1947, liegt vor, 43 Einzelseiten in Auswertung)

Diese Akten betreffen den „Gnadenakt“ des Beschuldigten Mangold:
FO 371 104143 1661 24 (liegt vor, Haftfähigkeitsprüfung, 1953)
FO 371 104143 1661 28 (liegt nicht vor, Gnadengesuch des Erzbischofs von Köln, 1953)
FO 371 104144 1661 51 (liegt nicht vor, Medizinische Gutachten, 1953)
FO 371 104148 1661 122 (liegt nicht vor, Schriftverkehr mit dem Auswärtigen Amt, 1953)
FO 1060 507 (Inhalt nicht bekannt, 1947 – 1953).

Das britische Luftfahrtministerium in London schreibt am 1. März 1946, dass die von den deutschen Behörden über diesen Vorfall gefertigten Unterlagen sichergestellt und Kopien an diesem Tag versandt wurden an: The Military Deputy, Judge Advocats General, Spring Gardens, Cookspur Street, S.W.1. und R.A.A.F. Overseas H.Q. (WO 235/395, Seite 303 ff.). Ob diese Akten noch vorhanden sind und wo sie sich ggf. befinden könnten ist nicht bekannt. 

Aufgrund der bereits ausgewerteten Akten kann sehr detailliert dargestellt werden, was nach dem Abschuss passierte. Allerdings stehen zur Schilderung der Tatabläufe nur die Aussagen derjenigen zur Verfügung, die an den Morden in irgend einer Art und Weise beteiligt waren. Hierbei hat natürlich die Wahrheit nicht immer die erste Priorität, Sachverhalte wurden offensichtlich verdreht oder verleugnet. Von daher können einzelne Fakten nicht eindeutig rekonstruiert werden. Bei der Frage der Schuld und der Verantwortung haben die Täter unübersehbar zu ihren Gunsten kräftig geschönt und für Widersprüche gesorgt. Auf unterschiedliche Darstellungen unwesentlicher Details soll nicht näher eingegangen werden.

06.12.1944
Um 20:20 Uhr erfolgt der Abschuss des Bombers. Drei der sieben Besatzungsmitglieder retten sich mit dem Fallschirm. Der Bordschütze Forward wird später angeben, nach Scott und McGladrigan ausgestiegen zu sein. Deshalb sollte er noch näher an der Absturzstelle gelandet sein wie diese beiden, festgenommen wird er jedoch irgendwo hinter der Kreisgrenze Richtung Dillenburg. Er kommt zunächst in ein Lager nach Gießen, danach erfolgt seine Vernehmung in Oberursel in der „Deutschen Verhörzentrale für gefangene Luftwaffenangehörige“ (DULAG Luft, Aussage Karl Schmidt) und anschließend der Weitertransport in das Kriegsgefangenenlager Stalag Luft VII in Bankau, Oberschlesien (https://aircrewremembered.com/riddellwilliam.html und
https://onenightindecember.wordpress.com/2018/01/21/26-erdhausen/).


Die mit vier Rolls-Royce Merlin XXIV-Flugmotoren ausgerüstete und in den Metropolitan-Vickers-Werken hergestellte Lancaster wird beim Aufschlag vollständig zertrümmert. Der Angehörige der Landwacht, Scheld, entdeckt die Leiche eines Soldaten am Flugzeug - gleiches nimmt jedoch auch der Bürgermeister von Weidenhausen, Michel, für sich in Anspruch und sagt darüberhinaus, der Soldat habe sich in seinem Fallschirm befunden und gebrannt. Offensichtlich hat dieser versucht, auch noch mit dem Fallschirm abzuspringen. Michel gibt an, den Absturzort aufgesucht zu haben, weil er den Einschlag beobachtete und der Meinung war, dieser sei in seinem Zuständigkeitsgebiet erfolgt (WO 235/395, Seite 262). Man durchsucht die Kleidung des Soldaten, findet aber keinen Hinweis zur Identifikation. Persönliche Gegenstände werden gesichert und ins Bürgermeisterbüro gebracht. Das Wrack brennt noch stundenlang, Angehörige der Landwacht halten dort die ganze Nacht über Wache. Die Landwacht und die Bevölkerung werden aufgefordert, nach abgesprungenen Fliegern zu suchen.

07.12.1944
Unter der Regie des örtlich zuständigen Polizisten, dem „Oberwachtmeister der Gendarmerie der Reserve“ Konrad Mangold werden nach Tagesanbruch aus dem Wrack durch die Landwacht drei weitere Leichen geborgen und alle vier Opfer zwei Tage später auf dem Friedhof in Erdhausen beigesetzt.


Schicksal John Scott:

Gegen 13:00 Uhr erfolgt die Meldung an Mangold, wonach Flight Sergeant John Scott im Wald bei Wommelshausen aufgegriffen wurde und sich dort im Büro des Bürgermeisters befindet (Luftlinie zum Absturzort ca. 5 km). In der Wommelshäuser Dorfchronik, Verfasser ist der Hauptlehrer i.R. Rudolf Klein, steht hierzu sinngemäß: Der Mann wurde von Schulkindern im Bereich „off em Bontkewwel“ gesehen und später von zwei Mitgliedern der Hitlerjugend festgenommen. Auf der Treppe des Bürgermeisteramtes habe man ihn der Bevölkerung präsentiert und sein Habe vorgezeigt: Ein Messer, eine Notration und eine auf Seide gedruckte topografische Karte der örtlichen Gegend. Man habe ihm die Fliegerstiefel ausgezogen – anschließend sei er von einem Polizeibeamten mit dem Spitznamen „Negus“ abgeholt worden. Was ansonsten noch über den weiteren Verlauf der Ereignisse in dieser Chronik steht, ist mit dem Inhalt der ausgewerteten Dokumente nicht vereinbar - insbesondere ist es unzutreffend, Scott sei mit einer Hacke erschlagen worden und dies sei von einer Weidenhäuserin beobachtet worden.

Als unmittelbarer Augenzeuge aus Wommelshausen berichtet Horst W. Müller über die Festnahme von Scott in seinen "Kindheitserinnerungen an die letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre":

„Gefangennahme und Schicksal eines englischen Fliegersoldaten Anfang Dezember 1944

 

Zwei Mitglieder der örtlichen HJ (Hitlerjugend) aus dem Ortsteil Hütte, hatten einen jungen englischen Fliegersoldaten am „Bontkubbel“ oder bei „Pännersch Danne“ (es gibt unterschiedliche Angaben über die Örtlichkeit) gefangen genommen, nachdem er zuvor von Wommelshäuser Kindern gesehen worden war. Der Fliegersoldat hatte sich mit dem Fallschirm gerettet, er war ein Überlebender der Mannschaft eines englischen Bombers, der bei dem Nachtangriff am 6. Dezember auf Gießen abgeschossen wurde und bei Erdhausen abstürzte. Weil das Bürgermeisteramt von Wommelshausen kriegsbedingt nicht besetzt war, brachte man ihn zunächst nach Wommelshausen-Hütte zur „Hüttner Mühle“. Eine Nachbarin (die Hebamme Emma Beimborn) erinnerte sich, dass ihm dort Zigaretten und Essen angeboten wurden. Zuständigkeitshalber brachte man ihn dann zum Bürgermeisteramt nach Wommelshausen, nachdem dort der Bürgermeister von Dernbach, Gustav Velte, eingetroffen war, der die Gemeinde kommissarisch führte.

Auf der Treppe vor dem Bürgermeisterbüro („Koindes“ Haus) wurde im Dezember 1944 der zahlreich versammelten Bevölkerung der gefangene Fliegersoldat präsentiert. Ich war Augenzeuge, damals 6 Jahre alt. Mit meinem Vater (Kriegsinvalide aus dem 1. Weltkrieg) zusammen stand ich gegenüber auf einer Mistmauer und kann mich noch gut daran erinnern. Präsentiert wurde er von einem Polizisten (Spitzname Negus), dem kommissarischen Bürgermeister Velte aus Dernbach und einem führenden Mitglied der örtlichen NSDAP.

Es war ein junger Soldat mit dunklen Haaren in einem grauen Pullover, mit grauer Hose und Filzstiefeln. Seine Hände waren auf dem Rücken mit einer Kette gefesselt. Man zeigte seine Habseligkeiten: Messer, Notration, Verbandszeug und eine auf Seide gedruckte topografische Karte. Die hielt das NSDAP-Mitglied empor und machte auf die Details aufmerksam indem er laut rief: „Da ist ja sogoar das Reechen droff!“ (ein örtlicher schmaler Durchgangsweg). Daran kann ich mich genau erinnern, auch daran, dass plötzlich eine Frau mehrfach laut schrie: „Schlot en dud, schlot en dud!“ („Schlagt ihn tot“). Anderen Augenzeugen zufolge soll es eine aus Wommelshausen stammende Frau gewesen sein, deren Wohnung in Frankfurt zerbombt worden war. An eine Reaktion darauf kann ich mich nicht erinnern, nur betretenes Schweigen. In der Bevölkerung munkelte man, er solle erschossen werden.

Danach musste der Soldat seine Stiefel ausziehen, wurde die Treppe hinabgeführt zum Fahrrad des Polizisten, der ihn nach Weidenhausen in die dortige Arrestzelle bringen sollte. Er setzte sich auf sein Fahrrad, befestige die längere Kette der Handfessel an seinem Koppel mit Schulterriemen und fuhr los. Der Gefangene musste von da an wie ein Hund im Dauerlauf in Strümpfen neben Polizisten auf dem Fahrrad herlaufen, bis nach Weidenhausen. Dieses Bild ist mir ganz deutlich in Erinnerung geblieben.

In der folgenden Nacht wurde er in ein Wäldchen nahe dem Weidenhäuser Friedhof geführt, dort   erschossen und verscharrt. Über diesen Vorfall ist mehrfach berichtet worden, allerdings gibt es unterschiedliche Darstellungen über den genauen Ablauf. Nach dem Krieg mussten die Verantwortlichen den Leichnam ausgraben, der dann der Bevölkerung präsentiert wurde. Die Verantwortlichen wurden zu hohen Strafen verurteilt. Mein Cousin Adolf aus Weidehausen hat mir später im Wäldchen vor dem Weidenhäuser Friedhof noch das Loch gezeigt in dem der Gefangene bis zu seiner Exhumierung gelegen hatte.

Als ich im März 1995 einen Beitrag über dieses Vorkommnis in den „Hinterländer Geschichtsblättern“ veröffentlichte, hat man mir dies in Teilen der Weidenhäuser Bevölkerung (meine Mutter stammte von dort) sehr übelgenommen, wie man mir berichtete.“

Von Herrn Horst W. Müller wurde mir ein Auszug der Lebenserinnerungen der Emma Beimborn, geb. Scharf, zur Verfügung gestellt. Sie war Jahrgang 1907 und lebte im Wommelshäuser Ortsteil „Hütte“. Hier der vollständige Text:

Es sah so aus, als ob die Amis und Engländer nach Kriegsende in den schönen Städten leben wollten. Gießen dagegen wurde mehrmals angegriffen und die umliegenden Dörfer auch. Es wurden auch Flieger abgeschossen. Einmal hatte sich ein Pilot gerettet. Es wollte sich sicher nach Westen absetzen, wurde aber in Mutscheit-Hecke aufgegriffen und hier auf die Hütte gebracht. Da saß er dann bei Müllersch auf der Treppe. Sie gaben ihm erst eine Zigarette und dann noch Essen. Man sah die große Angst aus seinen Augen weichen. Er war ein ganz junger Engländer. Ein Polizist brachte ihn nach Weidenhausen. Dort wurde er eingesperrt, und dann bei Nacht und Nebel erschlagen. Der Täter musste nach dem Kriege mit einigen Jahren Gefängnis büßen.

Ich war ein paar Tage später nach dieser Untat in Weidenhausen in einem Geschäft. Alle Frauen die da anwesend waren, fanden diese schreckliche Tat für gut und richtig. Mich störte das, und ich sagte: "Vielleicht hat er noch eine Mutter zu Hause, die auf ihn wartet, sich auch Sorgen um ihn macht, genau wie wir, um unsere Männer und Söhne bangen, die nicht freiwillig, sondern auf Befehl in den Krieg gezogen sind". Da hatte ich aber in ein Wespennest gestochen. Sie nahmen mir das übel. Ich habe damals befürchtet, sie würden mich melden. Hätten sie, wäre ich nicht mehr am Leben. Das war ja Vaterlands-Verrat. Mich hat das Ganze arg beschäftigt. Der Gedanke, Friedrich, meinem Ehemann, könnte es auch so gehen, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Er schrieb fast jeden Tag, wenn es auch nur ein paar Worte, und keine langen Briefe waren. Es war aber ein Lebenszeichen ...“

Den Dokumenten aus dem Nationalarchiv London ist folgender Fortgang der Ereignisse zu entnehmen:
Nach der Meldung an Mangold, wonach sich Flight Sergeant John Scott in Wommelshausen im Büro des Bürgermeisters befindet, radelt Mangold dorthin, muss den Gefangenen vor aufgebrachten Zivilisten (das sind hauptsächlich Ausgebombte aus Frankfurt) schützen und begibt sich mit ihm in Richtung Weidenhausen. Auf der Straße an einem Waldrand, ca. 1 km vor Weidenhausen, treffen beide auf den zuvor informierten Kreispolizeichef aus Biedenkopf, „Bezirksleutnant der Gendarmerie“ Karl Menge, der mit dem „Meister der Gendarmerie“ Karl Konrad Schmidt mit einem Pkw angefahren kommt. Schmidt ist Leiter des Polizeipostens Gladenbach. Menge macht Mangold sofort Vorwürfe, weil er den Flieger nicht der „Gnade“ der Zivilisten überlassen habe und erinnert ihn an eine Besprechung vom August des gleichen Jahres, in der allen Gendarmen mitgeteilt worden war, dass sogenannte „Terrorflieger“ unmittelbar nach der Gefangennahme zu erschießen seien. In den Polizeibericht solle dann „Tot aufgefunden” eingetragen werden. Mangold verweigert die sofortige Tötung, die er auf Befehl von Menge in dem angrenzenden Waldstück vornehmen soll. Auch Polizeimeister Schmidt spricht sich gegen diese Exekution aus: Es könnten Zivilisten vorbeikommen und das Ganze beobachten, man solle den Gefangenen lieber ins Kriegsgefangenenlager der Luftwaffe in Gießen bringen (WO 235/395, Seite 358 ff.). 

 

 

Bürgermeisteramt mit Backhaus und Zelle Weidenhausen 1938
heute: Weidenhäuser Straße 38

(Quelle: Privatsammlung Eckhard Scheld)

Scott wird nun auf Geheiß von Menge in der Gemeindezelle in Weidenhausen unter Beteiligung des Bürgermeisters Ludwig Michel eingesetzt. Michel erhält von Mangold die Auskunft, dass der Gefangene nach Gießen gebracht werden soll. Gemeinsam bieten sie Scott Lebensmittel an, die jedoch nicht angenommen werden. Unklar ist, ob das von Menge angeordnete Verhör des Gefangenen durch Otto Klingelhöfer, der etwas Englisch spricht, vorgenommen werden soll. Klingelhöfer bringt sich später bei der Gerichtsverhandlung selbst ins Gespräch und gibt an, es sei zusätzlich eine namentlich nicht bekannte Lehrerin aus Frankfurt hinzu gezogen worden. Michel erwähnt später in dem Strafverfahren Herrn Klingelhöfer an keiner Stelle. Laut Herrn Klingelhöfer wird Scott gefragt, ob er hungrig sei. Dies wird verneint und entgegen der Aussage von Michel: Er habe schon etwas vom Bürgermeister erhalten. Es ist bekannt, dass die alliierten Flieger vor ihren Einsätzen instruiert wurden, im Falle einer Gefangennahme außer zu den Personalien keine weiteren Angaben zu machen - so lässt sich auch Scott auf kein weiteres Gespräch ein, sagt nur, seine Papiere befänden sich im Flugzeug.

In der Weidenhäuser Gaststätte „Assmann” setzt Menge eine Besprechung an, in der er von Mangold wissen will, was die Befragung von Scott ergeben habe. Nachdem Mangold sagt, der Gefangene habe sich in keinster Weise gesprächsbereit gezeigt, wird er von Menge nochmal auf seine „Pflicht” hingewiesen, Scott zu erschießen. Sollte Mangold dieser Anordnung nicht nachkommen, würde er vor ein SS-Gericht gestellt und nicht nur er hätte mit den schlimmsten Konsequenzen zu rechnen, auch seine Familie (WO 235/395, Seite 326). Das Gasthaus, das damals wegen des überwiegenden Publikums als „braunes Gasthaus“ bezeichnet wurde, ist heute unter dem Namen „Zur Petersburg“ bekannt, momentan wird es als Chinarestaurant genutzt.

 

 

Handskizze Backhaus und Zelle Weidenhausen
(Quelle: Gerichtsprotokoll WO 235/395, Seite 279)

In der Zelle eingesperrt macht Scott etwa zur gleichen Zeit, gegen 18:00 Uhr, durch lautes Rufen und heftiges Klopfen auf sich aufmerksam. Das wird von vielen Weidenhäusern wahrgenommen, die im Backhaus, das ist ein Raum direkt neben der Zelle, Brot und Kuchen backen. Michel wird informiert und begibt sich mit dem Ortsdiener Heinrich Thomas zur Zelle. Zuvor bittet er die Leute, die sich vor oder in der Backstube aufhalten, das Gebäude zu verlassen und schließt die zur Hauptstraße führende Eingangstür. Was dann passiert, wird von der Zeugin Maria Wege zunächst so beschrieben: Die Haupteingangstür sei nicht ganz geschlossen gewesen und man habe von außen verfolgen können, wie Michel die Zelle aufschließt, zu dem Gefangenen sagt: „Was willst Du – komm her, Freundchen“ und unmittelbar mit einem Stock auf Scott einschlägt, bis dieser sich winselnd und heulend auf dem Boden krümmt. In der Gerichtsverhandlung (siehe 28.-30.05.1947) bestreitet Michel dies. Thomas bestätigt jedoch, dass Michel dem Gefangenen vier oder fünf Stockhiebe verpasste, zuvor habe es den Versuch eines Gespräches gegeben, der an der Sprache scheiterte. 

Aufgrund der örtlichen Gegebenheit (siehe o.a. Skizze) dürfte Frau Wege das Geschehen nicht direkt sehen können, gibt aber an, Michel habe sofort auf den Gefangenen eingeschlagen. Später, in einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Marburg im Jahre 1951, ändert Frau Wege ihre Aussage ab und sagt, von der Körperverletzung nur gehört zu haben (Az. 7 Js 171/51, WO 235/395, Seiten 3+4). Somit verbleibt als einziger Augenzeuge der Körperverletzung der Ortsdiener Thomas und es ist kein Anlass erkennbar, warum er eine solche erfinden sollte. Ältere Einwohner erinnern sich heute noch an Gespräche im Dorf, wonach Michel den Gefangenen „halb tot“ geschlagen habe.

Mangold begibt sich nach dem Gespräch mit Menge in einer eher gedrückten Stimmung zum Bürgermeister. Michel fragt ihn, warum er nicht früher zurückgekommen sei, der Zug nach Gießen sei bereits abgefahren und was jetzt mit dem Gefangenen geschehen soll. Mangold habe ihm nun Menges Befehl eröffnet, wonach der Flieger zu erschießen sei. Hierzu steht im Widerspruch, dass Michel bereits vor der Rückkehr von Mangold dem Ortsdiener von der geplanten Erschießung erzählt hat (WO 309/914, Seite 9). Jedenfalls bestimmte Menge Michel aufgrund dessen Eigenschaft als Bürgermeister dazu, für ein Grab zu sorgen. Es scheint einige Diskussionen zu geben, aber am Ende beauftragt Michel seinen Ortsdiener Thomas nachzuschauen, ob ein bestimmtes Erdloch (ein Graben) außerhalb des Dorfes in der Nähe des Friedhofs noch existiert und dieses sich zum Grab eignet.

Nach der Rückkehr von Thomas holen Michel und Mangold gegen 19:30 Uhr den Gefangenen aus der Zelle, nehmen ihn in ihre Mitte und bringen ihn zu dem in ca. 700 m entfernt liegenden Erdloch - Thomas geht mit einer Schaufel (oder einem Spaten) voraus. Unmittelbar nach der Ankunft dort, jedoch in einem gewissen Abstand zum Grab, versetzt Mangold dem an den Händen gefesselten und mit dem Rücken zu ihm stehenden Scott einen tödlichen Schuss in den Nacken. Man dreht die Leiche auf den Rücken, kontrolliert den Herzschlag und drückt ihr die Augen zu. Michel und Thomas erweitern dann das Erdloch zu einem Grab und die Leiche wird darin bestattet. Bei dem Tatort handelte es sich um eine Talsenke, die in dieser Form heute nicht mehr besteht. Nach dem Krieg und der Exhumierung von Scott wird diese als Müllhalde benutzt, aufgefüllt und später aufgeforstet.

Michel und Mangold erscheinen sehr spät in dieser Nacht im Gasthaus und lassen sich gutes Essen und Schnaps servieren. Die Wirtin erinnert sich daran, dass sie eine „Henkersmahlzeit“ bestellt haben, ohne diesen Begriff zu erläutern. Auch wird die Frage nicht beantwortet, woher sie so spät abends noch kommen (WO 309/914, Seite 8, nicht protokollierte Aussage vom Bürgermeister Scheld).

 

 

Weidenhausen, der letzte Weg von Scott
(+ Lage der Straße, die nach ihm benannt werden soll)

 

Schicksal Neil McGladrigan:
Der dritte mit dem Fallschirm abgesprungene Flieger, Flight Sergeant Neil Francis Dellaway McGladrigan, wird am gleichen Tag abends bei Mornshausen/D. aufgegriffen (Luftlinie zum Absturzort und zur Landestelle von Scott jeweils ca. 8,5 km). Der örtlich zuständige „Oberwachtmeister der Gendarmerie der Reserve“ Otto Koch wird gegen 22:00 Uhr von Wilhelm Jakobi telefonisch hierüber informiert, begibt sich sofort dort hin und schreibt später in seinen Tätigkeitsbericht:

Der englische Flieger MEKGLADIGAN festgenommen von
Christian Schmidt und Landwachtmann Jakob Schmidt, Amelose,
und in polizeiliche Untersuchungshaft genommen, Mornshausen/a.D
.“

In der Wohnung des Jakob Schmidt trifft Koch den Gefangenen an und verbringt ihn zusammen mit Wilhelm Jakobi und Jakob Schmidt ins Bürgermeisteramt Mornshausen. Bei der körperlichen Durchsuchung des Gefangenen bemerkt Koch an dessen Oberschenkel eine leichte Wunde und versorgt diese - der Gefangene hatte sich bereits selbst einen Flaksplitter herausgezogen. Nun heizt Koch den Raum ein und sorgt dafür, dass der Gefangene seine durchnässte Kleidung trocknen kann. Die Ehefrau des Bürgermeisters Andreas Weigel versorgt ihn mit Lebensmitteln, Weigel selbst schafft Decken herbei, richtet ihm eine Schlafgelegenheit ein und Koch bewacht ihn die ganze Nacht.

Arno Bernhardt, ein pensionierter Lehrer aus Mornshausen, erinnert sich daran, dass seine Mutter, Hildegard Bernhardt, geb. Weigel, ihm öfter von diesem Ereignis berichtet hat. Sie war die Tochter des in 1944 amtierenden Mornshäuser Bürgermeisters Andreas Weigel und hatte die Ereignisse des 7. und 8. Dezember 1944 im Haus des Bürgermeisters miterlebt. Sie war zum Zeitpunkt der Geschehnisse 24 Jahre alt, Arno Bernhardt hat ihre Angaben wie folgt aufgeschrieben:

Auf der Amelose war ein amerikanischer Soldat festgenommen worden – es war ihr nicht bekannt, dass es sich um einen Australier handelte. Am Abend kam der Gendarm (dessen Namen wusste sie nicht) mit dem Gefangenen. Der war verletzt und hatte Hunger. Meine Mutter gab ihm zu Essen. Es war ein feiner Junge. Er zeigte uns Bilder seiner Familie und machte deutlich, dass er am nächsten Tag Geburtstag habe. Am andern Tag hat ihn dann der Gendarm weggebracht, wohin, wusste sie nicht. Den Soldaten hat ein Gendarm dann auf der Breiten Erle (Waldstück zwischen Herzhausen und Runzhausen) erschossen. „Das war ein Verbrechen!“ sagte sie. Wer den Soldaten erschossen hatte, wusste sie nicht, erwähnte aber einen anderen Gendarmen, also nicht den, der den Gefangenen zu ihnen ins Haus gebracht und auch wieder weggebracht hatte.“

Durch Arno Bernhardt wurden noch die Zeitzeugen Ewald Werner, Jahrgang 1933, und Reinhold Burk, Jahrgang 1932, ermittelt und hat deren Erinnerungen aufgeschrieben.

Ewald Werner, der damals im Nachbarhaus des Bürgermeisters wohnte, sagt aus:
Am Morgen des 8. Dezember war ich in Kehlisch Haus (= Dorfname des Bürgermeisters). Katharina Weigel, die Frau des Bürgermeisters, machte dem Gefangenen Frühstück. Ich weiß es noch ganz genau: Er bekam eine große Scheibe Brot mit Honig. Danach brachte der Gendarm den Gefangenen weg. Der Gefangene ging vor dem Gendarmen her, der sein Fahrrad schob.“

Erinnerungen des Reinhold Burk:
Es war Dezember und schon früh dunkel. Im Wald gegenüber unserem Haus, die Stelle liegt an der linken Seite der heutigen B453 nach Gladenbach schräg gegenüber dem Gebäude der Telekom, sah man immer wieder Licht aufblinken. Der Wegewärter, Jakob Schmidt, und sein Onkel Christian machten sich auf, um nach dem Rechten zu sehen. Einer der beiden hatte eine Pistole. (Anmerkung von Arno Bernhardt: Wahrscheinlich war das Christian Schmidt, der auch Vorsitzender des örtlichen „Kriegervereins“ war.) Die beiden haben dann den Flieger festgenommen und in „Wegewärters Haus“ gebracht. Das sprach sich auf der Amelose natürlich sofort herum und ich bin dann mit meiner Mutter in „Wegewärters Haus“ gegangen. Der Wegewärter ging nach „Zahlehans“ zu Wilhelm Jakobi, um dort zu telefonieren. Wilhelm Jakobi hatte als einziger auf der Amelose ein Telefon. In der Zwischenzeit hatte man Ludwig Rupp informiert und ihn gebeten, nach „Wegewärters“ zu kommen. Ludwig Rupp war im ersten Weltkrieg eine Zeit lang in englischer Kriegsgefangenschaft gewesen und man glaubte, dass er dolmetschen könnte. Das war aber nicht der Fall. Der Gefangene machte deutlich, dass er Durst habe. Die Frauen beratschlagten, was man ihm zu trinken anbieten könne und kamen überein, dass er Kaffee, genau genommen, den damals üblichen Muckefuck, erhalten solle.
Spät am Abend kam dann der Gendarm aus Eckelshausen mit seinem Fahrrad an. Er muss wohl gemerkt haben, dass es sich nicht um einen Engländer gehandelt hat, denn er fragte den Gefangenen: „Was tust du denn in Europa?“ Anschließend hat ihn der Gendarm nach „Kehlisch“ gebracht. Aber da war ich nicht mehr dabei.
Am nächsten Tag habe ich gesehen, wie der Gefangene vom Gendarmen in Richtung Biedenkopf abgeführt wurde. Es wurde an diesem Tag auch noch im Ameloser Wald angeblich nach weiteren Fliegern gesucht, in Wirklichkeit hoffte man, den Fallschirm zu finden, den hätte man hier noch gut gebrauchen können.“

08.12.1944
Koch will am Vormittag den Kreispolizeichef Menge über die Festnahme telefonisch informieren, kann jedoch als nächsten Vorgesetzten nur den Polizeimeister Andreas Ebling erreichen. Ebling ordnet an, McGladrigan, der an diesem Tag 22 Jahre alt wird, ins Polizeigefängnis der Stadt Biedenkopf zu bringen. In Biedenkopf angekommen rügt Menge Koch schwer, brüllt ihn regelrecht zusammen, weil er den Gefangenen nicht sofort tötete. Den Befehl zur Tötung verweigert Koch beharrlich mit dem Hinweis, dass er selbst 4 Söhne im Kriegsdienst habe und nicht möchte, dass mit ihnen im Falle einer Gefangennahme ähnlich verfahren werde. Den ganzen Tag über findet unter der Leitung und Mitwirkung von Menge im Bereich „Amelose“ bis spät in die Nacht eine umfangreiche Suchaktion statt, man vermutet noch mehr abgesprungene Flieger. Zum Ende der Suche, kurz vor Mitternacht, beauftragt Menge seinen Untergebenen Koch, den in Biedenkopf einsitzenden Gefangenen am nächsten Tag mit der Bahn in ein Kriegsgefangenenlager bei Wetzlar bringen. Diese Anordnung enthält einen Widerspruch: Dem Polizeichef Menge wird stets unterstellt, dass er auf der Ausführung des geheimen Befehls bestanden habe, wonach gefangen genommene alliierte Flieger zu erschießen sind. Hierzu passt seine Anordnung keineswegs, den Gefangenen in einem Lager abzugeben.

09.12.1944
Am frühen Morgen dieses Samstags entscheidet nun der nachfolgende Umstand über Leben und Tod von McGladrigan: Koch hat die Information, dass der Zug um 05:20 Uhr abfahren soll. Er will den Gefangenen abholen, der zuständige Beamte des Gefängnisses ist jedoch hierüber nicht informiert und es kommt zu einer erheblichen Zeitverzögerung. Als Koch mit dem Gefangenen dennoch vor der planmäßigen Abfahrtszeit den Bahnhof erreicht, fährt der Zug gerade weg und nicht erst um 05:20 Uhr. 

Koch bringt McGladrigan wieder ins Polizeigefängnis in Biedenkopf (WO 235/395, S. 363 ff.). Offen bleibt, ob an diesem Tag noch andere Züge fuhren und warum davon ggf. kein Gebrauch gemacht wurde. Am 15.02.1947 gibt Koch entgegen seiner ersten Aussage an, es sei überhaupt kein Zug gefahren (WO 235/395, S. 380 ff.).

Während des 2. Weltkrieges war die mittlerweile verstorbene Ruth Fackert Angestellte im Landratsamt Biedenkopf. Ihrem Neffen Michael Fackert erzählte sie von einem englischen Flieger, der dort für 1 oder 2 Tage unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht war. In einer Art Garage/Raum (vom Hof zugänglich und mit Gittern versehen) wäre der dort wie ein Hund angekettet gewesen, offensichtlich auch nicht mit Essen und Wasser versorgt worden. Aus Mitleid habe man ihm heimlich Brot und Wasser gegeben. Es ist nicht sicher, ob es sich hierbei um McGladrigan handelte, jedoch ist keine Unterbringung eines anderen allierten Fliegers in dieser Zeit und an dieser Stelle bekannt.

Gegen 15:00 Uhr versucht Menge den für Gladenbach verantwortlichen Polizeimeister Schmidt anzurufen und weil er diesen nicht erreicht spricht er mit Mangold, der an Schmidt folgendes weitergeben soll (WO 235/395, Seite 327): Der Landrat (!) habe angeordnet, der Gefangene sei zu erschießen. Schmidt soll jemanden benennen, der für ein Grab sorgt und Mangold bei der Exekution hilft. Mangold fragt, warum er auch diesen Gefangenen töten soll, obwohl dieser nicht in seinem Zuständigkeitsgebiet aufgegriffen wurde. Menge antwortet, der Gefangene sei in dem Distrikt zu erschießen, in dem das Flugzeug abstürzte. Es darf jedoch darüber spekuliert werden, ob diese Anordnung von Menge nicht mehr damit zu tun hat, dass seine Absicht, den Gefangenen erschießen zu lassen, problemloser mit dem Personal in Erdhausen umzusetzen war, als mit dem in Biedenkopf - Koch weigerte sich ja standhaft, die Exekution vorzunehmen.

10.12.1944
Koch befindet sich auf der Dienststelle in Biedenkopf - er hat Telefondienst. Gegen 10:00 Uhr erscheint Menge, der ihm befiehlt, den Gefangenen an diesem Tag im Schutze der Dunkelheit an der Reviergrenze bei Runzhausen an Mangold zu übergeben. Koch geht, warum auch immer, davon aus, es erfolge ein Weitertransport nach Wetzlar zusammen mit einem weiteren Gefangenen. Auf eine entsprechende Nachfrage antwortet Menge, der Transport solle nachts erfolgen, um möglichen Übergriffen von aufgebrachten Zivilisten vorzubeugen. Drei Tage vorher hatte Menge Mangold noch erhebliche Vorwürfe deshalb gemacht, weil dieser den Gefangenen Scott nicht der „Gnade“ der Leute in Wommelshausen überlassen hat. Weil Mangold den Polizeimeister Schmidt am Samstag nicht mehr erreichen konnte, sucht er ihn an diesem Sonntag vormittags zu Hause auf und gibt Menges Anordnung weiter.

Schmidt bestimmt den Angehörigen der Landwacht, Ludwig Will, ein Grab auszuheben und bei der Hinrichtung mitzuhelfen. Mangold begibt sich zur Wohnung von Will und übermittelt ihm diese Anordnung. Dieser ist – so Mangold – sofort mit allem einverstanden. Will soll das Grab irgendwo versteckt herrichten und nicht wie von ihm angedacht, auf dem Friedhof. So wählt er eine Stelle im Wald in der Nähe des verabredeten Treffpunkts aus und bereitet am Nachmittag das Grab vor. Schmidt wird später zugeben, den Befehl, wonach alle „Terrorflieger“ zu erschießen sind, so weitergegeben zu haben, wie es von Menge verlangt wurde (WO 235/395, Seite 353).

Gegen 17 Uhr holt Koch den Gefangenen im Gefängnis ab und weil dieser aufgrund seiner Verletzung nicht gut laufen kann, transportiert er ihn, wo immer das möglich ist, auf dem Gepäckträger seines Fahrrades. Auf dem Weg in Richtung Gladenbach, der sich über ca. 18 - 19 km erstreckt, macht Koch eine Zwischenstation bei sich zu Hause in Eckelshausen - beide essen und trinken an einem Tisch. Zwischen 21:30 und 22:00 Uhr treffen beide auf Mangold und Will.


Das Zusammentreffen schildert Mangold so: Er hatte sich für 20:00 Uhr mit Will verabredet und war ziemlich überrascht, weil sich dieser mit Pistole und Gewehr bewaffnet hatte, ohne dass er entsprechend angewiesen worden war. Mangold veranlasst ihn, das Gewehr zu Hause zu lassen. Man läuft dann an der verabredeten Stelle wegen der Kälte eine Stunde hin und her, bis Koch mit dem Gefangenen eintrifft. Hierbei schiebt der Gefangene das Rad und wird von Koch an einer langen Leine geführt. Erst bei diesem Zusammentreffen will Koch davon erfahren haben, was mit McGladrigan tatsächlich geschehen soll.

Die Aussage von Will hierzu lässt jedoch einen anderen Schluss zu: Mangold fragt Koch, warum man die „Sache“ nicht in dessen Dienstbezirk erledigt habe, worauf Koch antwortet: „Hätte ich den Befehl bekommen, hätte ich das getan“ und fragt direkt, wo sich das Grab befindet. Hinter Kochs Aussage dürfte ein „Deal“ zwischen ihm und Menge stecken: Menge war es wohl egal, wer den Flieger erschießt und wenn Mangold diesen dreckigen „Job“ übernahm, war Koch außen vor - hatte also seine Ruhe. Es wäre von Koch unklug gewesen, Mangold diesbezüglich reinen Wein einzuschenken.

Man läuft insgesamt noch ca. 1 km – zunächst auf der Straße in Richtung Gladenbach, biegt nach links in einen Feldweg ab und erreicht den Wald in der Gemarkung Mittelscheid. Kochs Fahrrad bleibt am Waldrand zurück. Mangold lässt sich von Will das Grab zeigen, Koch bleibt zunächst mit dem Gefangenen ein Stück zurück, bevor er mit diesem den beiden anderen in den Wald folgt. Es ist stockdunkel und eisig kalt. Koch orientiert sich an der Fackel, die Will mitführt. In der Nähe des Grabes entfernt Koch die Handschellen, mit denen er bis dahin den Gefangenen gefesselt hatte. Mangold übernimmt den Gefangenen, bindet ihn mit der Schnur, an der ihn Koch geführt hatte, die Hände am Rücken zusammen und befestigt die Schnur an einem Baum. Während Will die Szene beleuchtet, zieht Mangold seine Pistole (Kal. 0.8) und schießt dem Gefangenen seitlich in den Kopf. Danach erfolgt ein zweiter (ggf. auch noch ein dritter) Schuss, über dessen nähere Umstände unterschiedliche Versionen vorliegen:
Zunächst sagt Mangold aus, sein Schuss sei nicht tödlich gewesen und weil seine Waffe eine Ladehemmung hatte, habe auch Will einen Schuss abgegeben (TS 26/664 + WO 235/395 Seite 317). Bei der nächsten Vernehmung durch die Amerikaner (WO 235/395, Seite 327) sagt Mangold, während er sich mit seiner Pistole beschäftigte sei ein weiterer Schuss gefallen, von dem er nicht wisse, ob dieser von Koch oder Will abgegeben wurde. Erst nach dem 2. Schuss habe man den Tod des Gefangenen festgestellt und danach hätten Koch und Will die Leiche ins Grab gelegt. Beim Verfüllen des Grabes habe sich Will eingebildet, dass der Flieger noch nicht tot sei und deshalb einen weiteren Schuss abgegeben, bevor man das Grab verfüllte. Koch bestreitet entschieden, geschossen zu haben und spricht zunächst auch von drei Schüssen (WO 235/395, Seite 368), legt sich später aber auf nur zwei Schüsse fest (WO 235/395, Seite 381).
 

Will gibt bei seiner ersten Stellungnahme an, einen gezielten Schuss auf den Gefangenen abgegeben zu haben, bevor man die Leiche ins Grab legte. Mangolds Schuss sei nicht tödlich gewesen, dieser habe aber keinen weiteren Schuss abgeben können, weil seine Waffe versagte. Will präzisiert diese Aussage dahingehend, dass Mangold noch zweimal abdrückte, es sich aber kein Schuss löste. Deshalb habe Will seine Pistole (Kal. 7,5) gezogen und dem Gefangenen aus einer Entfernung von ca. 1,5 m in die Schläfe geschossen. Die nachfolgende Passage hat Will in seinem handschriftlichen Protokoll durchgestrichen und gelangte nicht in die Leseabschrift: „Ich habe mich (nach dem Schuss) umgedreht und weiß nicht, wie viel Koch abgegeben hat. Zu der Zeit, als wir geschossen haben, standen Mangold, Koch und ich nur ungefähr 2 Meter abseits von dem Flieger.“ (WO 235/395, Seite 338 ff.).

Bei der zweiten Vernehmung, die durch die Briten vorgenommen wird, und bei der Gerichtsverhandlung geben beide dagegen an, Mangolds Schuss sei bereits tödlich gewesen und man habe das Opfer ins Grab gelegt. Will sei dann in Panik geraten, weil er beim Schließen des Grabes darin in der Dunkelheit eine Bewegung wahrgenommen habe und deshalb einen Schuss in Richtung des Grabes abgegeben. Will behauptet jetzt, Mangolds Waffe habe bereits vor dem ersten Schuss eine Ladehemmung gehabt, diese behoben und dann erst den Gefangenen erschossen (WO 235/395, Seite 344 ff.). Koch legt sich fest, dass auf den im Grab liegenden Körper nicht geschossen wurde (WO 235/395, Seite 381), was den ersten Aussagen von Mangold und Will entspricht. Es liegt der Verdacht nahe, Wills Tatbeteiligung soll im Nachhinein im Hinblick auf das zu erwartende Strafmaß heruntergespielt werden, denn einen Toten kann man nicht ermorden und Mangolds Lage war ohnehin nicht zu verbessern. Später werden durch den Pathologen, Leutnant Joseph C. Sherrick, bei der Obduktion zwei Einschüsse dokumentiert - einen in die Schläfe und einen ins Jochbein. Diese Fakten sprechen für die erste Version, wonach der tödliche Schuss von Will abgegeben wurde.
 
Auch erinnert sich Koch daran, dass beim Verfüllen des Grabes ein Gespräch zwischen Mangold und Will in diesem Sinne verlief. Will warf Mangold vor, den Gefangenen schlecht getroffen zu haben und Mangold antwortete sinngemäß, beim ersten Flieger habe er das besser gemacht, der sei nach dem ersten Schuss sofort tot gewesen. Auf diese Art und Weise will Koch erstmals davon gehört haben, dass es bereits einen weiteren Mord gab (WO 235/395, Seite 381). Ansonsten sind Kochs Aussagen zu den näheren Umständen der Erschießung nicht hilfreich. Er habe sich erschüttert abgewandt, somit die entscheidenden Einzelheiten nicht mitbekommen und nur deshalb mitgeholfen das Grab zu schließen, weil er wegen der großen Kälte fürchterlich fror und sich bewegen wollte. Offen bleibt, warum Koch tatsächlich mit in den Wald ging und der Erschießung beiwohnte. Sein Auftrag wäre eigentlich mit der Übergabe des Gefangenen an Mangold an dem Treffpunkt auf der Straße beendet gewesen.

Als Koch am nächsten Tag Menge darüber informiert, dass der Gefangene erschossen wurde, bemerkt Menge nur vorwurfsvoll: „… und Sie sind drei Tage mit dem herum gezogen ...“

Menge sucht Mangold einige Tage später in dessen Wohnung auf und bemängelte die Berichte über die beiden Erschießungen. Mangold muss, so seine Aussage, die alten Berichte verwerfen und in die neuen hineinschreiben, dass man die beiden Flieger tot aufgefunden habe (WO 235/395, Seite 328). Eigentlich wusste Mangold vorher ganz genau, was er in seine Berichte zu schreiben hatte und es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass er in seinen ursprünglichen Berichten den wahren Ablauf der Erschießungen beschrieb und sich selbst des Mordes bezichtigte. Bei diesem Treffen übergibt Mangold die Wertsachen des McGladrigan an Menge.
Ob hierbei auch die Pelzstiefel, die Pelzjacke und weitere Kleidungsgegenstände mit übergeben wurden ist nicht bekannt, diese Sachen hatte Will nach der Erschießung an sich genommen. In Gladenbach erzählt man sich, dass kurz nach dem Mord an dem Flieger die Ehefrau (oder damalige Freundin) von Will in einer britischen Bomberjacke gesehen wurde.

Der Tatort – gleichzeitig Ort des Grabes – wird von dem amerikanischen Pathologen, der die Obduktion vornahm, so beschrieben: Karte CSGS 4416, AMS M641, Sheet number R 3, Coordinates G600435 (WO 235/395, Seite 310). Auf einer Karte der Gerichtsunterlagen befindet sich an dieser Stelle eine unscheinbare und nicht erläuterte Markierung, die den Koordinaten „600“ und „435“ entspricht. Als der amerikanische Untersuchungsoffizier Ralph P. Needle am 21.08.1945 das Standesamt Gladenbach anweist, den Tod zu bescheinigen, gibt er als Leichenfundort „Mittelscheid“ an, was ebenfalls zu den Koordinaten passt. Will sagt, das Grab befand sich ca. 8 m im Wald bei vier Fichten. (GPS: 50° 47' 8.434" N 8° 35' 11.062" E) 


 

Tatort und Grab McGladrigan

19.01.1945

Wegen des Vormarsches der Roten Armee erfolgt die Evakuierung des Stalag Luft VII in Bankau, Polen. Der einzige Überlebende des abgeschossenen Bombers, Forward, wird zusammen mit weiteren ca. 1.500 Häftlingen unter schwersten Bedingungen (Fußmarsch im Schneesturm, unzureichende Versorgung, teilweise in Viehwaggons) und erheblichen Verlusten an Menschenleben ins Stalag III-A in Luckenwalde, südlich von Berlin, gebracht. (https://www.arnhem1944themissingones.com/the-long-march-1945-arnhem-pows/). 

Februar 1945

Mangold ist nach eigenen Angaben nach Dänemark abgeordnet. Angeblich soll er an einer Schulung teilnehmen, empfindet die Abordnung jedoch als eine Art Bestrafung ohne zu wissen wofür. Welchen Sinn sollte es angesichts der anrückenden alliierten Streitkräfte machen, in dieser Situation, in der jede Kraft zu Hause gebraucht wird, Leute ins Ausland „auf Lehrgang“ zu schicken? Da ist eher daran zu denken, dass Mangold freiwillig die Gegend verlassen hat, in der er zwei Morde beging, bevor die Besatzungskräfte seinen Dienstbezirk erreichten. Er gibt an, in Dänemark in britische Kriegsgefangenschaft geraten zu sein - wann und warum er nach Hause entlassen wird, ist nicht bekannt.

22.04.1945
Die Insassen des Lagers Stalag III-A in Luckenwalde werden von der Roten Armee befreit und das Lager im Mai 1945 aufgelöst. Forward überlebt den Krieg als Verwunderter, sein weiterer Verbleib ist jedoch unbekannt.

Was geschah nach dem Ende des Krieges? 


Sommer 1945
Im Rahmen von Ermittlungen durch Major John M. Flatten und 1. Leutnant Ralph P. Needle, Mitglieder einer Untersuchungskommission der amerikanischen Besatzungskräfte, werden die Täter verhaftet und die beiden Leichen exhumiert. Wie diese Vorgänge angestoßen wurden, kann zurzeit nicht chronologisch dargestellt werden, weil hierüber keine Unterlagen zur Verfügung stehen. Somit kann nur darüber spekuliert werden, wie die Amerikaner an die entsprechenden Informationen gekommen sein könnten:

Zunächst kann angenommen werden, dass gezielt nach Scott und McGladrigan gesucht wird, denn Forward berichtet nach dem Kriegsende, dass die beiden vor ihm aus dem angeschossenen Flugzeug absprangen und damit als verschollen gelten (WO 235/395, Seite 208, P. 6.). Dann dürfte die bereits erwähnte Maria Wege eine gewisse Rolle spielen. Sie wird von der amerikanischen Untersuchungskommission befragt und macht ganz sicher bezüglich der Körperverletzung des Gefangenen Scott detaillierte Angaben. In einem Bericht der Briten über die Ermittlungen durch die Amerikaner werden ausschließlich Maria Wege und Bürgermeister Scheld als Zeugen genannt (WO 309/914, Seite 53). Offen ist, ob Frau Wege von den Amerikanern angesprochen oder ob sie selbst initiativ wird und wann genau dies geschieht. Sie lebt nämlich mit Michel seit dessen Übernahme des Bürgermeisteramtes 1936 im Streit und hätte von daher ein Motiv. Einerseits sagt sie, sie habe sich freiwillig als Zeugin zur Verfügung gestellt, andererseits gibt sie an, sie und ihre Freundin Lisa Becker seien irgendwann von einer amerikanischen Dolmetscherin aufgesucht worden und bei der Befragung in Biedenkopf habe sie die "Wahrheit" gesagt (WO 235/395, Seite 126). Es ist nicht auszuschließen, dass Maria Wege den ersten Schritt machte, zumal Michel nach dem bisherigen Erkenntnisstand als erste Person aus dem Täterkreis festgenommen wird, obwohl er nicht der Haupttäter ist. Im Dorf soll Frau Wege nach dem Krieg erzählt haben, dass sie und ihre Mutter beobachtet hätten, wie der offensichtlich schwer verletzte Soldat von Mangold und Michel in den Wald geführt wurde. Man sei den Männern gefolgt und habe später die Amerikaner hierüber informiert und denen das Grab zeigen können. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist gleich Null. Bei ihrer Vernehmung im Rahmen der Gerichtsverhandlung hat Frau Wege kein Wort hierüber verloren. Auch passt hierzu nicht, dass erst nach mehr als 4 Wochen nach der Festnahme von Michel die Leiche entdeckt wurde. Wäre Michel aufgrund der Anzeige von Frau Wege inhaftiert worden, hätte dies sicher auch zeitnah zur Verhaftung von Mangold und dem Auffinden der Leiche geführt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Frau Wege die Sache ins Rollen brachte, ist sehr hoch - jedoch nur, was die Körperverletzung durch Michel angeht. Diese war ein großes Thema im Dorf und allgemein bekannt – was mit dem Soldaten im Wald geschah, eher nicht, das wurde erst später publik. In einem Ermittlungsprotokoll (WO235/395, Seite 208) ist festgehalten, dass erst im Zusammenhang mit dem Auffinden der Leiche von McGladrigan auch der Mord an Scott bekannt wurde.


Jetzt übernimmt eine britische Untersuchungskommission von den Amerikanern die weiteren Ermittlungen in beiden Fällen. Nachdem bereits Tat und Täter bekannt sind, stellt ein Abschnittsleiter der RAF, Sgd. H. White, (Squadron Leader Commanding, 14 M.R.S., R.A.F., A.P.O. 171) im November 1946 in Weidenhausen Ermittlungen an und sucht hierbei gezielt Maria Wege auf. Aus dem Inhalt seines Protokolls geht hervor, dass der nach dem Krieg als Bürgermeister von Weidenhausen eingesetzte Philipp Scheld beim Auffinden der Leichen eine Rolle spielte (WO 235/395, Seite 306 ff.).

06.07.1945

Ludwig Michel, wird nach Angaben seines Sohnes Heinrich Michel zu Hause "abgeholt" und ins Gefängnis in Biedenkopf gebracht (WO 235/395, Seite 163 ff.). Es ergeben sich aus den vorliegenden Akten keine anderen möglichen Haftgründe, als die Geschehnisse um den Kriegsgefangenen Scott. Offensichtlich macht Michel zunächst keine Angaben zur Sache, denn das Auffinden der Leichen erfolgt erst 5 Wochen später, nachdem auch die anderen Täter festgenommen sind. Ein zeitnahes Vernehmungsprotokoll von Michel liegt nicht vor.

12.07.1945

Wahrscheinlicher Tag der Festnahme von Konrad Mangold. Rechtsanwalt Ley führt aus, Mangold sei zwei Tage vor dem Selbstmord von Kreitz inhaftiert worden (WO 235/395, Seite 295). 

14.07.1945

Der Hauptmann der Gendarmerie Heinrich Friedrich Kreitz, *26.10.1890 in Hardegsen/Ellierode, erhängt sich im Gefängnis in Marburg. Laut Eintrag auf der Sterbeurkunde wohnte er zuletzt in Diez/Lahn. Eine konkrete Mitwirkung durch ihn bei der Tötung der Gefangenen ist nicht dokumentiert – bei der späteren Gerichtsverhandlung wird er lediglich in allgemeiner Form als Befehlsgeber genannt. 

09.08.1945

Vermutlich gelingt an diesem Tag den Ermittlern ein Durchbruch: Otto Koch verfasst ein handschriftliches Protokoll, in dem er über die Ermordung des McGladrigan berichtet und die Täter nennt (WO 235/395, Seite 363 ff.). Da diese Niederschrift in Marburg erstellt wird ist davon auszugehen, dass Koch zu diesem Zeitpunkt inhaftiert ist.

13.08.1945

Mangold wird in Untersuchungshaft genommen (WO 235/395, Seite 389). Zu dieser Festlegung auf dem Beweismittel „Exhibit 21 a“ besteht ein Widerspruch zur Aussage von Mangold: Kreitz habe sich während Mangold's Haft in der Nachbarzelle erhängt – somit müsste Mangold bereits am 14.07.1945 eingesessen haben. Dieser Widerspruch ist momentan nicht aufzulösen - möglicherweise wurde an diesem Tag eine vorläufige Festnahme in eine Untersuchungshaft umgewandelt.


14.08.1945
Will (WO 235/395, Seiten 333 ff.) und Mangold (TS 26/664) machen in Marburg bei Needle eine kurze Aussage bezüglich der Erschießung von McGladrigan. Der Mord an Scott ist hierbei noch kein Thema!!!

15.08.1945
Will und Schmidt werden inhaftiert (WO 235/395, Seiten 390+391). Schmidt macht in Marburg bei Needle handschriftlich eine erste und eine zweite Aussage (WO 235/395, Seite 347 ff.)

Mangold und Will führen drei amerikanische Offiziere in den Wald, zeigen ihnen das Grab von McGladrigan und graben die Leiche aus. Der amerikanische Pathologe, Leutnant Joseph C. Sherrick, nimmt die Obduktion vor. Hierbei stellt er auf der Unterhose des Getöteten eine Personalnummer fest, anhand derer später McGladrigan eindeutig identifiziert wird (WO 235/395, Seite 310 ff.).

18.08.1945

Die Leiche von Scott wird geborgen. Es liegt kein Protokoll über die Obduktion von Scott vor - eine Festlegung dieses Datums erfolgt dadurch, weil an diesem Tag anlässlich der Exhumierung der Leiche von Scott der neue Bürgermeister Philipp Scheld von Weidenhausen diese Rede an ehemalige Parteimitglieder hält:

Dieser Körper ist ein Stigma für das Ansehen der Deutschen in der ganzen Welt. Die Verantwortlichen hierfür stehen jetzt vor uns. Das bedeutet, dass wir nicht nur wissen, wer wirklich für die Begehung der Verbrechen verantwortlich ist, sondern auch die wahren Urheber dieser Verbrechen, die für die Ursache des Verbrechens verantwortlich gemacht werden müssen. Dies sind Euer geliebter Führer und vor allem alle Propagandisten wie Goebbels und Hans Fritzsche. Viele von Ihnen wissen, dass Himmler seine Befehle verbal gegeben hat. Für den Fall, dass einige von Ihnen mir jetzt sagen, dass sie nur gemäß den Anweisungen gehandelt haben, die sie erhalten haben, sage ich Ihnen, das ist eine Ordnung, die gegen meine Gefühle und meine Ehre verstößt. Als anständiges und zivilisiertes Wesen kann ich keinesfalls einer Anordnung zustimmen, die ein Verbrechen verlangt. In diesem Fall - leider gibt es hier jetzt schon zwei Fälle - wird nicht nur der Täter mit Schrecken und Entrüstung betrachtet, sondern die ganze Nation kann durch die Handlung dieser beiden verurteilt werden. Was glaubt Ihr, was wäre das für eine Leitlinie, wenn überall auf der Welt solche Methoden die Prinzipien der Kriegsführung wären? Als die Luftwaffe 1940/41 Angriffe über England geflogen hatte, wurden Mütter und Bräute darüber informiert, dass ihre Söhne und Geliebten nicht zurückkehren könnten. Aber das bedeutete noch nicht, dass der Flieger tot war und sie alle wünschten und hofften, er hätte es geschafft, könnte sicher sein, ebenso gut behandelt zu werden wie Kriegsgefangene. Warum haben sie sich so gefühlt? Weil jeder erwartete, dass Kriegsgefangene anständig behandelt werden. Warum sollten die Bräute und Mütter englischer Flieger weniger ein Recht darauf haben, auf die sichere Rückkehr ihrer Männer zu hoffen?“ Vollständiger Text: WO 309/914, Seite 18).

Scheld war vor der NS-Zeit schon Bürgermeister, jedoch 1933 von der SS abgesetzt und in Schutzhaft genommen worden. Dennoch kandidierte er später auf der Liste der SPD wieder für dieses Amt und wurde auch gewählt. Während dieser Dienstzeit erhielt er eine schriftliche Morddrohung und 1936 ersetzten ihn die Nationalsozialisten durch Ludwig Michel. Laut einem Schreiben der amerikanischen Militärregierung, Sitz in Biedenkopf, war Bürgermeister Philipp Scheld mit Wirkung zum 01.10.1945 seines Amtes enthoben worden, nachdem er nach dem Krieg anscheinend provisorisch eingesetzt worden war. Wann und unter welchen Umständen er wieder in dieses Amt kam, ist nicht bekannt. Er erhielt 1965 als Bürgermeister das Verdienstkreuz I. Klasse der Bundesrepublik Deutschland (Staatsanzeiger Hessen Nr. 6, 1965).


20.08.1945

Die beiden Leichen werden auf Anordnung der Amerikaner auf dem Friedhof in Gladenbach beigesetzt. Das Standesamt Gladenbach wird von Needle schriftlich aufgefordert, den Tod zu beurkunden und dieses stellt ein entsprechendes Dokument aus. Zu diesem Zeitpunkt sind die Identitäten der Soldaten offiziell noch nicht bekannt. Otto Koch wird in Marburg von der Untersuchungskommission der amerikanischen Streitkräfte (Major John M. Flatten und 1. Leutnant Ralph P. Needle) vernommen (WO 235/395, Seite 363 ff.). Karl Schmidt wird ab 16:00 Uhr in Marburg von Flatten und Needle verhört (WO 235/395, Seite 352).

21. + 25.08.1945
Will sagt in Marburg ausführlich aus (WO 235/395, Seiten 343 ff.). 

06.11.1945 – 07.02.1946

Maria Wege befindet sich in Biedenkopf wegen unerlaubtem Waffenbesitz in Haft. Sie sagt, man habe ihr die Waffen aus Rache untergeschoben, weil sie gegen Michel aussagte (WO 235/395, Seite 126).

07.05.1946
Mangold, Schmidt, Will und Koch sitzen in Marburg ein (WO 235/395, Seite 196).

In den Beständen des Bundesarchivs befinden sich zu den vorgenannten Personen und auch zu Michel Personalbögen, wonach alle in Dachau einsitzen. Daten über die Einlieferung und die Dauer sind dort nicht vermerkt.

 
09.10.1946

Schmidt sagt in Dachau bei einer französischen Kommission über die Erschießungen aus (WO 309/914, Seite 92). 

09.11.1946

Mangold und Michel befinden sich im "Civil Internment Camp No. 5 der britischen Streitkräfte" bei Paderborn, Lager Staumühle (Untersuchungsbericht Air Ministery London). 1948 wird das Lager aufgelöst.

14.01.1947 

Die Auslieferung von Schmidt und Will von Dachau nach Paderborn wird in Kürze erwartet (WO 309/914, Seite 28).

17.01.1947 

Michel wird von Captain H.A. Brunner (The Essex Regiment Nr. 5), in Paderborn verhört (WO 235/395, Seite 262 ff.). Brunner: „Typischer gescheiterter Nazi-Gangster. Großer Held gegen Untergebene, demütig gegenüber seinen Vorgesetzten. Er tut sich sehr leid.“ (WO 309/914, Seite 9).

14.02.1947

Mangold wird von Captain H.A. Brunner, in Paderborn verhört (WO 235/395, Seite 326 ff.). Brunner: „Er diktierte tatsächlich seine Aussage und es waren kaum Fragen oder Unterbrechungen nötig. Seine Gesprächsbereitschaft war verwirrend.“(WO 309/914, Seite 9).
Will wird am gleichen Tag von Brunner verhört (WO 235/395, Seite 342 ff.) und von diesem wie folgt charakterisiert: „Definitiv ein krummer Typ. Der Ermittler brauchte ungefähr 5 Stunden, um ein Geständnis von ihm zu bekommen. Zunächst versicherte er dem Ermittler, dass er überhaupt keinen Schuss abgegeben habe. Nach 2 Stunden stimmte er zu, dass er einen Schuss abgefeuert hatte; aber den hätte er über das Grab des ermordeten Fliegers geschossen, um dem toten Feind zu huldigen.“

15.02.1947

Koch wird von Captain H.A. Brunner, in Paderborn verhört (WO 235/395, Seite 380 ff.) und als zuverlässiger Zeuge eingeschätzt (WO 309/914, Seite 9).

17.02.1947

Alle Beschuldigten befinden sich in Haft – von Menge wird vermutet, dass er nicht mehr lebt, ohne dass es hierfür einen konkreten Hinweis gibt (WO 309/914, Seite 33).
Schmidt wird von Captain H.A. Brunner, in Paderborn verhört (WO 235/395, Seite 357 ff.). Brunner charakterisiert Schmidt wie folgt: „Typischer kleiner Nazi-Beamter, immer noch sehr selbstsicher; sehr viel der „Befehl-ist-Befehl-Typ“. Er ist der einzige, der denkt, dass es überhaupt kein Verbrechen gab. Nach seiner Aussage gab er inoffiziell an, dass die Luftwaffe das verdient hatte, weil sie die Städte bombardiert hatte“ (WO 309/914, Seite 9). 

03.03.1947

Maria Wege wird in Biedenkopf verhört. Hierbei macht sie Angaben zur Körperverletzung zum Nachteil Scott durch Michel, die sie zunächst bei der Gerichtsverhandlung im Mai 1947 bestätigt, im Jahr 1951 jedoch relativiert – sie habe von der Tat nur gehört (WO235/395, Seiten 3 + 4). Über den Mord an Scott verliert sie kein Wort.

24.03.1947

Heinrich Thomas wird von Captain Lubbock verhaftet und in das Marburger Gefängnis gebracht (WO 309/914, Seite 100). Nicht bekannt ist, wann seine Entlassung erfolgte. 

22. bis 29.05.1947 (erste Gerichtsverhandlung)

Gegen Mangold, Will, Schmidt und Koch wird vor einem englischen Kriegsgericht in Braunschweig verhandelt (WO235/395, Seiten 8 - 115). Gemäß dem Adressbuch aus dem Jahr 1950 befand sich das britische Militärgericht im "Gildehaus", Burgplatz 2.
Die Verteidigung von Mangold übernimmt Rechtsanwalt Simon aus Braunschweig, die anderen Beschuldigten werden von Rechtsanwalt Dr. Peters vertreten. 

Die Anklage stützt sich auf verschiedene Beweismittel (durchnummerierte „Exibits“) - diese Schriftstücke, darunter die Aussagen der Beschuldigten, liegen vor und dienen der Darstellung der Ereignisse. Die Angeklagten sagen umfangreich aus, berufen sich jedoch auf einen Befehlsnotstand: Die entsprechenden Befehle seien vom damaligen Kreispolizeichef, Bezirksleutnant der Gendarmerie, Karl Menge, und Hauptmann Heinrich Friedrich Kreitz ausgegeben worden. Diese mutmaßlichen Befehlsgeber können jedoch nicht befragt werden: Kreitz hatte sich bereits am 14.07.1945 erhängt und Menge ist nach dem Krieg spurlos untergetaucht.


 

Karl Menge
(Quelle: Nationalarchiv London, Archiv Nr. WO 309/914)

Erst im Jahr 2020 konnten konkrete Hinweise auf den Verbleib von Menge erlangt werden, wonach er sich zunächst in Thüringen aufhielt, 1953 nach Köln kam und dort 1967 verstarb. 


Weiter mit der Gerichtsverhandlung:

Als Zeugen der Verteidigung werden vernommen: Wilfried Koch aus Eckelshausen, Paul Messerschmidt, Polizist in Wallau, Wilhelm Jakobi aus Mornshausen/Amelose, Alexander Erich Hans Crustorf und Heinrich Schmitt, Polizist in Biedenkopf. Die Polizisten bestätigen das Vorhandensein des allgemeinen Tötungsbefehls gegen „Terrorflieger“ und bescheinigen, zusammen mit den anderen Zeugen, Mangold gute Charaktereigenschaften und grundsätzlich einen tadellosen und fürsorglichen Umgang mit Kriegsgefangenen.

Verlesen werden Stellungnahmen von den nachfolgend genannten und nicht vorgeladenen Zeugen, die den Angeklagten durchweg einen sehr guten Leumund bescheinigen: Der ehemalige Bürgermeister von Mornshausen/D., Andreas Weigel, hat gesehen, dass Koch den Gefangenen überaus fürsorglich behandelte (WO 235/395 Seite 386), der neue Bürgermeister, Junker, bestätigt dies (WO 235/395 Seite 387), Landwirt Wilhelm Rüffel aus Gladenbach (WO 235/395 Seite 396), der pensionierte ehemalige Leiter der Polizeistation Gladenbach, Karl Rahlf (WO 235/395 Seite 392), Heinrich Schäfer aus Friebertshausen (WO 235/395 Seite 395), Hermann Bender aus Erdhausen (WO 235/395 Seite 408), Schmiedemeister und Landwirt Heinrich Schmidt aus Gladenbach (WO 235/395 Seite 404), Bäckermeister Karl Schmidt aus Gladenbach (WO 235/395 Seite 397), Prof. Kippenberger aus Marburg, der sich ganz besonders für Mangold einsetzt (WO 235/395 Seiten 398 ff. und Seiten 410 ff.), Bürgermeister von Erdhausen, Herr Reuter (WO 235/395 Seite 406). Die Frauen Luise Beimborn, Anna Schmidt und Luise Weber, alle in der Lahnstraße in Eckelshausen wohnhaft, haben gesehen, wie Koch den Gefangenen auf dem Gepäckträger seines Rades transportierte und mit ihm in sein Haus ging (WO 235/395 Seite 386).

Die Urteile:

Konrad Mangold, *01.11.1896 in Mönchengladbach, whf. in Gladenbach-Erdhausen, - Tod durch Erschießen. Er wird zwecks Vollstreckung des Urteils in das Militärgefängnis in Hameln eingeliefert. Mangold will vom Chef des Gefängnisses wissen, wie der Ablauf der Hinrichtung sein wird. Dieser erklärt, dass dies üblicherweise mit dem Strang passiert, jedoch in seinem Fall noch kein ordnungsgemäßer Vollstreckungsbefehl (Formblatt A.4) vorliegt. Das Urteil werde vollstreckt, sobald dieses Formblatt eintreffe (WO 236/719, Seite 50).


 

 

Konrad Mangold

Ludwig Will, *28.04.1896 in Gladenbach, whf. Gladenbach, Hoherainstraße 24, seit 1933 in der NSDAP, - 10 Jahre Haft.

Karl Konrad Schmidt, *28.10.1884 in Burghaun-Langenschwarz, Kreis Hünfeld, whf. Gladenbach, Gießener Str. 1, seit dem 01.05.1933 in der NSDAP, - 1 Jahr Haft.

Otto Koch, *29.05.1892 in Rodheim, Krs. Gießen, whf. Eckelshausen, Lahnstraße 6, - Freispruch).

28. bis 30.05.1947 (Gerichtsverhandlung gegen Michel)
Gegen den ehemaligen Bürgermeister von Weidenhausen, Ludwig Michel, wird vor dem gleichen Gericht in einem gesonderten Verfahren verhandelt (WO235/395, Seiten 117 - 186). Die Art seiner Mitwirkung an der Erschießung von Scott bleibt unbestritten. Michel sagt, es habe eine konkrete Anordnung des Landrates für die Kommunalverwaltungen gegeben, wonach Kriegsgefangene nach Gießen zu verbringen sind, er habe sich jedoch, ebenso wie Mangold, nicht gegen Menge durchsetzen können (WO 235/395, Seite 135 ff.). Viel Raum nimmt der zweite Anklagepunkt, die Körperverletzung zum Nachteil Scott, ein. Michel bestreitet diese entschieden. Er habe nach dem Aufschließen der Zelle einen tätlichen Angriff des Gefangenen vermutet, ihn leicht zurückgestoßen und später mit einem Stock leicht an der Schulter berührt. Die Zeugin Maria Wege belastet ihn jedoch schwer (WO 235/395, Seite 123 ff.). Sie habe beobachten können, wie Michel den Gefangen schwer zusammenschlug. Der bei dem Vorfall anwesende Thomas bestätigt, dass der Gefangene von Michel verprügelt wurde (WO 235/395, Seite 127 ff.).

Bereits einen Tag nach der Festnahme von Michel (06.07.1945) war auf Veranlassung seiner Angehörigen im Dorf ein Schriftstück verfasst worden, wonach Michel den Gefangenen nicht geschlagen haben soll und in Abrede gestellt, dass Frau Wege aufgrund der örtlichen Gegebenheiten überhaupt die Möglichkeit hatte, einen solchen Vorfall zu beobachten. Eine Kopie des Schreibens vom 8.7.1945 liegt vor, jedoch noch ohne Unterschriften (WO 235/395, Seite 266). Dieses Schreiben soll von einigen Weidenhäusern unterschrieben worden sein (u.a. Herr Runzheimer und Frau Dörr, möglicherweise auch Lisa Becker). Kurioserweise unterschrieb auch der Ortsdiener Thomas - bei seiner Aussage vor Gericht bestätigt er nämlich wieder die Misshandlung. Zur Entstehungsgeschichte des Schreibens sagt der Sohn von Michel, Heinrich, aus. Seine Angaben beschränken sich auf die Dinge, die dazu geeignet sein könnten, seinen Vater zu entlasten. Angeblich weiß er nicht einmal, warum sein Vater verhaftet wurde (WO 235/395, Seite 163 ff.).

Im Jahr 1951 führt die Staatsanwaltschaft Marburg unter dem Az. 7 Js 171/51 ein Verfahren durch, dessen Gegenstand nicht bekannt ist. In der Akte PRO WO 235/395, Seiten 3 + 4, befindet sich hierzu ein Schreiben, in dem Frau Wege zitiert wird. Nach den Aussagen von Otto Klingelhöfer, Willi Runzheimer, Liesel Becker und Margarete Dörr, wonach es Frau Wege aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich war, das Geschehen in und an der Zelle verfolgen zu können, gibt sie zu, gelogen zu haben. Angeblich sei sie von den Amerikanern im Jahre 1945 oder 1946 zu dieser Falschaussage gezwungen worden. Hätte sie ein entsprechendes Vernehmungsprotokoll nicht unterschrieben, wäre sie in Haft genommen worden. Sie sagt jetzt, den Vorfall nicht selbst gesehen zu haben, man habe im Dorf so davon erzählt.

Der 17-jährige Zeuge Otto Klingelhöfer ist offensichtlich zu gut auf die Verhandlung vorbereitet worden. Er sagt derart übertrieben im Sinne von Michel aus, dass seine Aussagen eher dem Angeklagten geschadet als geholfen haben dürften. Der Ankläger fragt ihn, ob sein Vater, der ein guter Bekannter und direkter Nachbar von Michel ist, ihm aufgetragen habe, bestimmte Sachen zu sagen. Er verneint dies, macht sich aber zum Zeugen des nachfolgenden Ereignisses, obwohl er dies eigentlich nicht hätte beobachten können - Michel hatte nämlich alle Leute, mit Ausnahme des Ortsdieners Thomas, aus dem Gebäude geschickt und die Eingangstür eigenhändig geschlossen, um keine Zeugen zu haben oder wie er selbst sagt, um die Leute vor dem Gefangenen zu schützen. Dennoch sagt Klingelhöfer aus, anwesend gewesen zu sein, als Scott, nachdem er in der Zelle auf sich aufmerksam gemacht hatte, nach den Gründen für sein Klopfen gefragt wurde. Obwohl auf Gedeih und Verderb den Deutschen ausgeliefert, soll sich Scott dagegen verwahrt haben, von deutschen "Schweinen" eingesperrt zu werden (WO 235/395, Seiten 143 ff. und 150 ff.). Das will Klingelhöfer als einzige Person selbst gehört haben und wiederholt diese Aussage mehrfach. Diese ist offensichtlich als Versuch gewertet worden, den Gefangenen zum Provokateur zu machen, um Michel zu entlasten. Aber warum sollte Michel entlastet werden ... er will doch „nichts“ gemacht haben?
Ohne danach gefragt zu werden, singt Klingelhöfer ein Loblied auf Michel: Dieser habe stets alle Kriegsgefangenen, egal welcher Nationalität, eigenhändig und bestmöglich mit Lebensmitteln versorgt. Ausführlich lässt sich Klingelhöfer über Maria Wege aus und belastet sie: Er stellt in Abrede, dass sie den Vorgang an oder in der Zelle beobachtet haben kann. Dann soll sie Polen und farbige US-Soldaten nach dem Krieg dazu angestiftet haben, ihr unliebsame Mitbürger zu attackieren. Erst nach intensiven Nachfragen sagt er, dass es sich hierbei nur um Gerüchte handelte.

Die nachfolgen Personen werden von der Verteidigung ebenfalls als Entlastungszeugen präsentiert: Alexander Erich Hans Grussdorf aus Weidenhausen (WO 235/395, Seite 158 ff.), Jakob Koch aus Weidenhausen (WO 235/395, Seite 161 ff.) und Karl Schmidt aus Gladenbach (WO 235/395, Seite 168 ff.). Diese versuchen ebenfalls massiv, Maria Wege als unglaubwürdig hinzustellen und attestieren ihr einen sehr schlechten Ruf: Sie habe ein uneheliches Kind (geboren im Frühjahr 1944) von einem verheirateten Wachmann, intime Kontakte mit Kriegsgefangenen und mit farbigen US-Soldaten. Offen bleibt, ob es sich hierbei um Tatsachen, Unterstellungen oder Gerüchte handelt. Keiner der Zeugen kann angeben, dass diese Vorfälle für Frau Wege oder für sonst jemanden irgendwelche Konsequenzen hatten. Nicht selten endeten nämlich während des Krieges intime Kontakte mit Deutschen für Kriegsgefangene mit dem Tod und für beteiligte Deutsche üblicherweise mit Lagerhaft.

Es werden noch einige Stellungnahmen verlesen, die offensichtlich von Michels Rechtsanwalt, Dr. Peters, initiiert worden waren. Emmy Bahlke (WO 235/395, Seite 269), der Kaufmann Hans Welker (WO 235/395, Seite 273), der ehemalige Ortsbauernführer Jakob Koch I (WO 235/395, Seite 275), der Landwirt und Fuhrunternehmer Karl Müller I (WO 235/395, Seite 277), Richard Mann (WO 235/395, Seite 280), der Kirchenvorsteher Jakob Ruppert II (WO 235/395, Seite 283) und der Schreinergeselle Luitpold Brandl (WO 235/395, Seite 285) können keine Angaben zur Sache machen, bescheinigen jedoch dem Angeklagten Michel sehr gute charakterliche Eigenschaften, politische Neutralität und bedauern z.T. auch, dass er unglücklicherweise in die Fänge der führenden NSDAP-Leute von Weidenhausen geraten sei.

Das Urteil:
Ludwig Michel, *18.12.1894 in Weidenhausen, whf. Weidenhausen, Hauptstraße 169, wird zu 12 Jahren Haft verurteilt, die er zuletzt in der JVA Werl absitzt.

04.06.1947
Schmidt und Will legen über ihren Rechtsanwalt Dr. Peters ein „Gesuch gegen das Urteil bzw. das Strafmaß“ ein und begründen dies ausführlich (WO 235/395, Seiten 212 – 219).

05.06.1947
Heinrich Thomas wird von den Amerikanern den Briten überstellt und ins Camp 5 in Paderborn eingeliefert (WO 309/914, Seite 95).

10.06.1947
Mangold und Michel legen ein „Gesuch gegen das Urteil bzw. das Strafmaß“ ein und begründen das ausführlich (WO 235/395, Seiten 220 – 241).

11.06.1947
Die beiden ermordeten Flieger werden von Gladenbach nach Hannover umgebettet und ruhen dort neben ihren beim Absturz gefallenen Kameraden in den Gräbern 11.E.5 und 11.E.6. Der "Hannover War Cemetery" ist eine Kriegsgräberstätte, die von der Commonwealth War Graves Commission (CWGC) angelegt wurde. Der im Volksmund bekannte „Englische Friedhof“ liegt auf dem Gebiet der Stadt Seelze, etwas abseits des Stadtteils Harenberg.

17.07.1947
Die Ehefrau des Mangold, Mia, geb. Weiser, reicht zusammen mit den 5 Kindern ein Gnadengesuch ein. Die Kinder sind zu diesem Zeitpunkt 5, 7, 19, 22 und 24 Jahre alt. Am gleichen Tag reicht Prof. Dr. Albrecht Kippenberger aus Marburg, Schückingstraße 15, über den Verteidiger von Mangold, Herrn Simon, ebenfalls ein Gnadengesuch ein, das er ausführlich begründet. Kippenberger war in der Armee Vorgesetzter von Mangold (WO 235/395, Seite 253 ff.).

09.09.1947
Rechtsanwalt Ley aus Oeynhausen, der Rechtsanwalt Simon unterstützt, erhält die Nachricht, dass das Todesurteil gegen Mangold bestätigt wurde und eine Petition erfolglos war (WO 236/719, Seiten 104/105).

29.09.1947
Rechtsanwalt Ley fragt beim Judge – Advocate, Bad Oeynhausen, Bismarckstraße 5, nach, ob es rechtens sei, dass Mangold nicht erschossen, sondern gehängt werden soll. Er sieht darin eine unzulässige Strafverschärfung. Brigadier Williams, DJAG, antwortet am nächsten Tag, dass ihm eine solche Abänderung des Urteils nicht bekannt sei (WO 236/719, Seiten 90/91).

21.10.1947
Es ergeht die Anordnung, die Vollstreckung des bestätigten Todesurteils gegen Mangold so lange auszusetzen, bis über ein Gnadengesuch des Bischofs Frings aus Köln entschieden ist. Der für dieses Verfahren zuständige Brigadier HWR Williams, DJAG (Defence Judge Advocate General), sieht jedoch keinen Grund, am ursprünglichen Urteil etwas zu ändern (WO 236/719, Seiten 48+49).

23.10.1947
Nachdem einige Gnadengesuche bezüglich Mangolds Todesstrafe abgelehnt wurden, empfiehlt nun das Hauptquartier der Britischen Rheinarmee dem C-in-C (Commander-in-Chief), Britische Zone Deutschland, das Urteil in 20 Jahre Gefängnis umzuwandeln und nennt hierfür diese beiden Gründe:

1. Kardinal Frings, Erzbischof von Köln, hat persönlich beim stellvertretenden Militärgouverneur ein Gnadengesuch eingereicht (siehe auch: Nationalarchiv London, Az. FO 371/104143/1661/28).
2. Die beiden anderen Angeklagten, Will und Michel, die mit Mangold für schuldig befunden wurden, an der Tötung der beiden Kriegsgefangenen beteiligt gewesen zu sein, wurden auch nur zu Haftstrafen verurteilt. Als Rechtsgrundlage wird der § 12 der Strafprozessordnung (Heeresordnung 81/1945) angeführt (WO 236/719, Seiten 44+45).

11.11.1947
Nachdem Mangold fast ein halbes Jahr in Hameln in der Todeszelle gesessen hat, erhält sein Rechtsanwalt Ley nun einen Brief des Brigadier Williams mit folgendem Wortlaut:
Der C-in-C, Britische Zone, Deutschland, hat auf Empfehlung der GOC-in-C (General Officer Commanding-in-Chief), BAOR, das gegen Mangold verhängte Todesurteil in eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren umgewandelt.“ (WO 236/719, Seite 32 ff.).

27.12.1947
Die Ehefrau des Schmidt, Margaretha, bittet um die Haftentlassung ihres Ehemannes (WO 235/395, Seite 287).

30.01.1948
Schmidt sitzt in Hameln ein. Offensichtlich soll er entlassen werden und erhält hierzu von der Gefängnisleitung ein gutes Führungszeugnis (WO 236/719, Seite 30).

20.02.1950
Michel wird in die JVA Werl eingeliefert. Nicht bekannt ist, auf wessen Veranlassung dies geschieht und von wo er kommt (Landesarchiv Westfalen, W3 – 2019/10615).

23.04.1952
Will soll aufgrund guter Führung aus der Haft entlassen werden – ein entsprechendes Formblatt wurde am 16.04.1952 von den Briten erstellt (WO 235/395, Seite 5).

16.01.1953
Offensichtlich sitzt Mangold in der JVA Werl ein, denn er befindet sich als Patient nach einer Operation im dortigen Mariannen-Hospital. Er wird an diesem Tag von einem britischen „beratenden Chirurgen“ untersucht. Als Ergebnis steht die Vermutung, dass Mangolds Erkrankung (chronisches Geschwür im Bereich des Zwölffingerdarms und der Bauchspeicheldrüse) im Gefängnis nur unzureichend behandelt werden kann und somit zu einer Verkürzung der Lebenserwartung führen könnte (Nationalarchiv London, Az. FO 371/104143/1661/24).

05.07.1953
Michel soll aufgrund guter Führung und unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft aus der Haft entlassen werden – ein entsprechendes Formblatt wurde am 01.07.1953 vom Vorsitzenden des britischen Straferlassausschusses erstellt (WO 235/395, Seite 7). Über den Tag seiner Entlassung liegen verschiedene Angaben vor: Während die JVA Werl seine Entlassung mit Mai 1955 angibt (Landesarchiv Westfalen, W3 – 2019/10615), kommt er bereits im Juli 1953 in Weidenhausen zur Anmeldung.

24.08.1953
Laut einem Schreiben des Rechtsberaters Herchenroder an den Leiter der JVA Werl soll Mangold an diesem Tag aufgrund eines Gnadenaktes der Britischen Königin aus der Haft entlassen werden (WO 235/395, Seite 6). Offensichtlich hat auch hierbei ein Gesuch des Kölner Erzbischofs Frings eine Rolle gespielt. Ein entsprechendes Schreiben sollte sich in der Akte FO 371/104143/1661/28 beim Nationalarchiv London befinden.

Man trifft Mangold in der Folgezeit gelegentlich bei seinen Spaziergängen im Bereich von Weidenhausen. Er äußert sich bei einem namentlich nicht bekannten Weidenhäuser über die Erschießung von Scott: Der Flieger sei derart schwer verletzt gewesen, dass er es als seine Pflicht angesehen habe, ihn von seinen Leiden zu erlösen.

26.08.1953
Zwei Tage nach der Haftentlassung von Mangold nimmt Menge, von Mühlhausen/Thüringen kommend, einen Wohnsitz in Köln.


27.10.1954
Die Ehefrau von Menge kommt ebenfalls aus Mühlhausen in Köln zur Anmeldung.

02.08.1967
Friedrich Karl Menge verstirbt im Alter von 68 Jahren in Köln unter der Adresse Görrestraße 3.

29.12.1971
Mangold verstirbt 74-jährig in seiner Wohnung in Erdhausen, Gießener Straße 30.

18.02.1972
Michel verstirbt im Alter von 78 Jahren in Marburg, amtlich gemeldet ist er zu diesem Zeitpunkt in Weidenhausen, Hauptstraße 2.

1972
Will verstirbt im Alter von 76 Jahren in Gladenbach.


19.04.1976
Gertrud Ottilie Menge, die Ehefrau des Karl Menge, verstirbt im Alter von 78 Jahren in Köln.

04.12.2019
Anlässlich des 75. Jahrestages greift der Hinterländer Anzeiger unsere Ermittlungen auf und berichtet ausführlich über die Morde.

06.11.2020  Das Stadtparlament von Gladenbach beschließt, im Neubaugebiet von Weidenhausen einer Straße den Namen „John-Scott-Weg“ zu geben. Diese Straße liegt ca. 200 m von der Stelle entfernt, an der Scott erschossen und begraben wurde. Darüber hinaus will der Heimatverein Weidenhausen für Scott einen Stolperstein setzen lassen. Die britische Boulevard-Zeitung „Daily Mirror“ hat diese Meldung aufgegriffen und in großer Aufmachung darüber berichtet.

14.09.2021
In Weidenhausen wird vor dem Regionalmuseum "Hinz Hoob" in der Weidenhäuser Straße von dem Künstler Gunter Demnig der Stolperstein für John Scott gesetzt. Zuvor erfolgen kurze Ansprachen der Initiatoren, dem Ortsvorsteher Markus Wege und der Vorsitzenden des Heimatvereins, Anneliese Müller. Danach kommt der Zeitzeuge Rolf Schneider aus Gladenbach zu Wort. Alle Redner verurteilen das Unrecht, das Scott widerfahren ist, appellieren an einen verantwortungsvollen Umgang der Menschen miteinander und bringen die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich derartige Verbrechen nicht wiederholen.

Herrn Wege war es gelungen, über die Vorsitzende des Ortsbeirates von Lossiemouth, Carolle Ralph, einen Kontakt zur Verwandtschaft von Scott herzustellen, es sind die Kinder des jüngsten Bruders von Scott, Willie: Alex Scott und Maureen Cormack, geb. Scott. Zu deren Bedauern war eine persönliche Teilnahme an der Verlegung des Stoplersteines nicht möglich. Sie, und auch Frau Ralph, übermitteln Grußbotschaften, die hier auszugsweise wiedergegeben werden.

„Wir sind Maureen und Alex Nichte und Neffe von Sergeant John Scott, der am 10. Dezember 1944 auf so tragische Weise ums Leben kam, aber der Krieg wird immer für solche Gräueltaten sorgen. Wir und unsere Familien danken den guten Weidenhausenern für die freundliche Geste der Gedenksteinlegung am 14.09.2021. Wir hoffen, einen Besuch der letzten Ruhestätte unseres Onkels in Hannover planen und in Ihr Dorf kommen zu können, um den Stein zu sehen. Wir werden ihn mit Stolz in Erinnerung behalten. Wir bedanken uns für Ihre Freundlichkeit.

Frau Ralph:
Die Einwohner von Lossiemouth wissen es zu schätzen, dass die Weidenhausener John Scott mit der Benennung einer Straße in seinem Andenken Tribut zollen. Es gibt keine größeren Eigenschaften als Mitgefühl und Menschlichkeit, und Ihre Handlungen zeigen dies in dieser Geste. Die Welt war damals ein ganz anderer Ort als heute, und wir können nicht einschätzen, mit welchen Herausforderungen die in Kriegszeiten Gefangenen entweder als Zivilisten oder in den Streitkräften konfrontiert gewesen sein müssen. Das vielleicht größte Vermächtnis, das wir unseren Kindern hinterlassen können, ist, dass wir all derer gedenken, die in Konflikten ihr Leben verloren haben und dass wir uns zur Zusammenarbeit entschlossen haben, um uns in Frieden und Freundschaft auf dieser Welt zu vereinen.“

Die lokale Presse berichtet über das Ereignis, eine kurze Meldung erscheint sogar in der britischen Boulevardzeitung „Daily Mirror“.

 

 

 

Foto: Willi Balzer, Buchenau

Damit ist der Vorgang „Fliegermorde“ abgeschlossen. Natürlich wird an dieser Stelle auch darüber berichtet werden, wenn es eine öffentliche Widmung der nach John Scott benannten Straße geben sollte.
Den Mitarbeitern der „Fliegerschicksale“ ging es ursprünglich nur um die Aufarbeitung von Verbrechen im 2. Weltkrieg im hiesigen Raum, wir sind jedoch sehr stolz darauf, dass unsere Ermittlungen zu diesem besonderen Gedenken an den ermordeten John Scott geführt haben.

 

 


 
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