Fliegerschicksale über Lumda, Lahn und Ohm
  06. Dezember 1944
 
 

Mittwoch, 6. Dezember 1944, Nikolaustag
 

Am Abend dieses Tages fand der schwerste Luftangriff auf unsere Nachbarstadt Gießen statt.

Zwischen 20.03 Uhr und 20.27 Uhr warfen etwa 250 britische Bomber der Typen Avro Lancaster und De Haviland Mosquito von der 5. Bomber-Group der Royal Air Force ihre tödliche Last über Gießen ab. Ein Teil der Besatzungen hatte den Auftrag, die Bahnanlagen zu bombardieren, das Ziel der zweiten Angriffsformation war das Gießener Stadtgebiet.

168 Maschinen waren auf die Stadt, 87 auf die Bahnanlagen angesetzt. Sicherlich warfen nicht alle ihre Bombenladung über den Zielgebieten ab, trotzdem aber war der Angriff fatal. Fast 65% des Stadtgebiets wurden zerstört.
Es ist bis heute nicht möglich, die genaue Anzahl der am Boden getöteten Menschen zu beziffern.

Da bereits in der Nacht vom 02. auf den 03. Dezember 1944 und auch wenige Tage später, am 11. Dezember 1944 weitere schwere Angriffe auf Gießen stattfanden, geht man heute davon aus, daß fast 350 Bürger in der Stadt Gießen und in Kleinlinden während dieser drei Angriffe ums Leben kamen. Etwa 40 Auswärtige waren ebenfalls unter den Toten.
Noch nicht aufgenommen in dieser Auflistung sind Fremdarbeiter, Kriegsgefangene und Soldaten.

Für den gesamten 2. Weltkrieg werden von der Stadt Gießen 703 Todesopfer durch Fliegerangriffe genannt. Für Kleinlinden 105 und für Wieseck fünf, so daß sich eine Gesamtzahl von 813 ergibt.

Die unglaubliche Macht der Alliierten in der Luft wird auch dadurch deutlich, daß der Angriff auf Gießen nur ein Teil der Operationen dieser Nacht war. Auch die Anlagen zur Treibstofferzeugung in Leuna wurden in dieser Nacht von mehr als 480 Maschinen angegriffen, und auch auf Osnabrück waren mehr als 450 britische Maschinen angesetzt. Insgesamt flog die Royal Air Force in dieser Nacht 1343 Einsätze, bei denen sie 23 Maschinen verlor. (Dies entspricht einem Verlustanteil von 1,7 %.)

Von den auf Gießen angesetzten Maschinen wurden 8 Lancaster als Verluste des britischen Bomber Command gemeldet.

Von den deutschen ein- und zweimotorigen Nachtjägern wurden im Raum um und über Gießen zehn Abschüsse beansprucht. Flugzeugführer der IV. Gruppe des Nachtjagdgeschwaders 6 wollen sechs, die der 2. Staffel des Nachtjagdgeschwaders 11 drei und ein Flugzeugführer der 12./NJG 3 einen viermotorigen Bomber abgeschossen haben.

Erfolgreichster Schütze war Feldwebel Günter Liersch von der 11./NJG 6, der um 20.17 Uhr, 20.19 Uhr und 20.20 Uhr je einen Gegner abgeschossen haben will. Den ersten über Gießen und die zwei folgenden etwas nordwestlich von Gießen.

Die Erinnerungen, auch an die britischen Verluste, wurden wieder wach, als im Jahr 2004 Teile einer Lancaster mit den sterblichen Überresten der Besatzungsmitglieder im Wald am Schiffenberg bei Gießen gefunden wurden. Am 13. September 2005, nach mehr als 60 Jahren, fand auf dem britischen Friedhof in Hannover die Beisetzung von drei bis dahin vermißten Besatzungsmitgliedern der am 6. Dezember 1944 am Schiffenberg abgestürzten Avro Lancaster statt.

Weitere Maschinen verlor das Bomber Command unter anderen auch im Raum Marburg.

Bei Mornshausen an der Salzböde, bei Erdhausen sowie bei Ilschhausen stürzten viermotorige Bomber des Typs Avro Lancaster ab.
Von den 21 Besatzungsmitgliedern dieser drei Maschinen kamen 15 Männer ums Leben und sechs gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der sie am Kriegsende in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Aber auch die deutsche Luftwaffe hatten in dieser Nacht einen Verlust über dem „Marburger Land” zu beklagen, als bei Niederweimar ein deutscher Nachtjäger vom Typ Messerschmitt Bf 110 abstürzte und eines der Besatzungsmitglieder ums Leben kam.

Mehr zu den Abstürzen dieser für die Stadt Gießen so verhängnisvollen Nacht finden sich in den folgenden Kapiteln.


 

Ilschhausen, Mittwoch, 6. Dezember 1944
 

An diesem Nikolausabend gegen 20.35 Uhr war es taghell. Durch den Schein der Feuersbrunst in Gießen, entstanden durch die unzähligen Bomben, die aus den Schächten der britischen Bomber geworfen worden waren, konnte man trotz der späten Stunde in den Ortschaften rund um Gießen auf den Straßen Zeitung lesen.

Die Einwohner von Ilschhausen sahen nicht nur die hohen Flammen, sie hörten auch die Bombenexplosionen, die Motorengeräusche der Flugzeuge, die Schüsse der Flak und auch die Schüsse aus den Bordwaffen der britischen Bomber und der wenigen der Stadt Gießen zur Hilfe geeilten deutschen Nachtjäger.

Plötzlich aber war etwas anderes zu hören. Ein unregelmäßiges Motorengeräusch. Man sah einen Lichtschein sehr schnell auf sich zukommen, dann wurde eine Explosion vernommen und ein britischer Bomber stürzte unweit von Ilschhausen ab. Der bereits über Gießen angeschossene Bomber brannte bereits und durch die Explosion an Bord wurde er kurz vor Ilschhausen auseinandergerissen.
In Windeseile sprach es sich im Dorf herum.
Herr Georg Mann berichtete: „Der größte Teil des Bombers mit Rumpf und Tragflächen stürzte nur etwa 400 Meter vom Dorfrand entfernt auf eine Wiese (Hofmanns „Geierskopf”). Das ganze hintere Teil, das Doppelleitwerk mit Spornrad, lag 500 Meter zur Fortbach hin. Die Front- und Heckkanzel mit ihren MG-Ständen fanden wir ungefähr 150 Meter, einen Motor etwa 200 Meter Richtung Hachborn und einen weiteren 400 Meter Richtung Straßmühle, von der Rumpf-Aufschlagstelle entfernt.”

Zwei Besatzungsmitglieder wurden tot aufgefunden. Es handelte sich um den 20jährigen Bordmechaniker Sergeant Albert Henry Steers aus Margate in England, der an der Aufschlagstelle des Rumpfes lag, und den 22jährigen Mittelturmschützen Sergeant Leonard Ayres aus Rotherham, Yorkshire, England, der in der Nähe der Fortbach gefunden wurde. Von den anderen Mitgliedern der Besatzung fehlte zunächst noch jede Spur, es wurde aber ausgeschlossen, daß sich noch Tote in den Wrackteilen der Maschine befinden konnten.

(Die Gräber der Sgt. Steers und Ayres auf dem engl. Friedhof in Hannover.)
(Fotos: Dirk Sohl)
 

Bei unseren Recherchen konnten wir noch vieles ermitteln. Die abgestürzte Maschine war eine bei Metropolitan-Vickers in England gebaute Avro Lancaster B.I von der 61. Squadron der Royal Air Force. Die siebenköpfige Besatzung war mit ihrem viermotorigen Bomber um 16.39 Uhr in Skellingthorpe, Lincolnshire, gestartet und nahm an den Angriffen auf die Bahnanlagen in Gießen teil. Die mit vier Motoren des Typs Rolls-Royce-Merlin XXIV ausgestattete Lancaster hatte die Werknummer ME725 und trug am Rumpf die Kennung Q R (Kokarde) G.

Es kann heute mit hundertprozentiger Sicherheit gesagt werden, dass nach dem Bombenabwurf über Gießen ein Nachtjäger die Maschine erfaßte und durch Beschuß so stark beschädigte, daß der Pilot, Flying Officer Clarence Armfield Donnelly aus Gympie, Queensland in Australien, Angehöriger der Royal Australian Air Force, dem Rest der Besatzung den Befehl zum Absprung erteilte.


(F/O C. A. Donnelly im Jahr 1942.)
(Foto: Melvin Brown)
 
Fünf Besatzungsmitglieder kamen auch noch rechtzeitig aus der Maschine heraus und gerieten in der Nacht und am nächsten Tag in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Da es die Sgts. Steers und Ayres nicht mehr schafften, den Bomber zu verlassen, läßt vermuten, daß sie schon in der Maschine, durch den Beschuß des deutschen Nachtjägers, entweder ohne Bewußtsein oder gar schon tot waren.

Einer der fünf Überlebenden geriet auf dem Hof von Heinrich Dörr in Winnen in Gefangenschaft.
Wir wissen heute, daß es sich dabei um den Bombenschützen Sgt. Ronald Gerald Devereaux Brock handelte. Er verbrachte die Nacht nach seiner Gefangennahme in Winnen und wurde am nächsten Tag nach Bracht abtransportiert.
Sein Fallschirm war im Spritzenhaus verstaut. Aus den Fallschirmseilen wurden Deckchen gehäkelt und die Fallschirmseide soll sogar für ein Brautkleid verwendet worden sein.


(Sechs der sieben Besatzungsmitglieder der ME725 mit dem Piloten F/O Donnelly (1.v.l.))(Foto: Donnelly)

Ob es auch Sgt. Brock war, den man in Londorf sah und dessen Arme mit Bindedraht auf dem Rücken gefesselt waren, läßt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.

Der Pilot, F/O Donnelly, geriet in Leidenhofen in Gefangenschaft und wurde dort bis zum Eintreffen eines Abholkommandos aus Bracht in einem Schweinestall eingesperrt. Dies wurde bei unseren Befragungen von einigen Leuten eindeutig verneint. Andere und der Pilot selbst sagten aber aus, dass es so gewesen war, um ihn vor den aufgebrachten Zivilisten zu schützen. Was den Tatsachen entsprach, wissen wir jetzt durch die Aufzeichnungen des Piloten, welche wir hier ins deutsche übersetzt wiedergeben möchten:

"Am Morgen des 6. Dezember standen Jack Vincent und ich wie gewöhnlich um 08.45 Uhr auf. Später ging ich in die Messe um mein Mittagessen einzunehmen. Es sollte für sechs Monate mein letztes Essen in England sein.
Die Einsatzbesprechung verlief wie gewöhnlich. Unser Ziel sollte in dieser Nacht Gießen werden. Bahnanlagen und der Verschiebebahnhof einschließlich der Lahnbrücken in der Nähe der Bahnstationen sollten angegriffen werden.
Der Start erfolgte etwa 16.00 Uhr und verlief wie gewöhnlich. Als wir über dem Ärmelkanal waren, klarte die Sicht auf und wir sahen voraus die französischen Städte hell beleuchtet unter uns. Über dem Rhein kamen wir wieder in eine dichte Wolkenbank und stiegen dann auf 13.000 Fuß Höhe. Dann kam das Ziel in Sicht. Über Gießen waren Wolkenlücken und um 20.19 Uhr leuchtete eine Zielmarkierung der voraus fliegenden Pfadfinder auf. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Zielmarkierungen im Zweiminutenabstand gesetzt. Ein schaurig schönes Schauspiel tat sich uns auf. Die ganze Szene erschien in einem unheimlichen Licht, verursacht durch die goldenen Leuchtkugeln, sprühenden Kaskaden und verlöschenden Markierungsbomben.
Über dem Zielgebiet herrschte nun ein furchtbarer Andrang. Der Bombenschütze machte sein Zielgerät fertig. Inzwischen befanden wir uns auf dem Zielanflug und das Ziel wurde auch bereits durch die Markierungsbomben hell ausgeleuchtet. Meine beiden Bordschützen genossen diesen Augenblick, denn offiziell durften sie nicht in das gleißende, helle Licht hineinsehen, da sie dadurch ihre Nachtsicht verlieren würden. Sollten Nachtjäger in der Nähe sein, bestand die Gefahr, dass die Bordschützen diese nicht wahrnehmen konnten. Normalerweise dauerte es cirka eine halbe Stunde, bis sich wieder volle Nachtsichtfähigkeit eingestellt hatte.
Ich selbst beobachtete andere Maschinen, die sich auf dem Zielanflug befanden. Ein leichter Geruch von Verbrannten machte sich noch in einer Höhe von 12.000 Fuß bemerkbar und unter uns erleuchteten immer mehr Einschläge und Brände die Stadt. Der Bombenschütze gab mir laufend Kurskorrekturen durch, dann der Befehl, die Bombenklappen zu öffnen. Nun befanden wir uns kurz vor dem Bombenabwurf. Links fünf Grad mehr, bleiben, bleiben, gut so, Bomben ab! Ich merkte förmlich wie die Bomben unsere Maschine verließen und genau in diesem Moment hörte ich die Warnung des Mittelturmschützen: "Korkenzieher, Korkenzieher, Korkenzieher steuerbord!" Ich nahm die Nase nach unten und kippte über die rechte Fläche ab. Gerade wollte ich das Manöver wiederholen, als ich die Einschüsse hörte.
Thump, Thump, Thump ... das typische Geräusch von Maschinenkanonengarben, die in unser Flugzeug einschlugen. Der Mittelturmschütze teilte über die Bordverständigungsanlage mit, dass wir schwer getroffen worden waren. Ich versuchte noch einen zweiten Korkenzieher zu fliegen, als plötzlich die Rudersteuerung ausfiel. Ich rief dem Heckschützen die Frage zu, ob er Feindmaschinen ausmachen könnte, erhielt aber keine Antwort. Ich wiederholte die Frage an den Mittelturmschützen, aber auch hier erhielt ich keine Antwort. Dann hörte ich Schüsse aus einem unserer MGs und wusste, dass zumindest noch einer der Schützen am Leben sein musste. Später stellte sich dann heraus, dass Ginge, der Mittelturmschütze, im Todeskampf den Abzug mit den Fingern umschloss und somit eine letzte Salve auslöste.
All dies passierte in einem Zeitraum von wohl weniger als 20 Sekunden, nachdem wir getroffen worden waren. Ein ätzender Geruch drang in das Cockpit ein. Irgendwo im Flugzeug brannte es wohl. Ich gab dem Bordfunker und dem Bordmechaniker den Befehl mit dem Feuerlöscher nach hinten zu gehen um den Brand zu löschen. Kurz darauf kam jedoch die Meldung, dass es unmöglich sei den Brand zu löschen und es längst Zeit wäre, das Flugzeug zu verlassen. Daraufhin gab ich den Befehl zum Abspringen, aber just in diesem Moment fiel die Bordverständigung aus.
Alle Kontrollmöglichkeiten fielen aus und mir war klar, dass wir vielleicht nur noch wenige Sekunden zu Leben hatten. Der Rauch nahm mir völlig den Atem und ich wollte sofort mit dem Fallschirm abspringen. Ich begab mich in Richtung des Notausstiegs des Bombenschützen, kam aber nicht sehr weit, da mir jemand im Weg stand. Man konnte durch den Rauch nichts mehr erkennen und ein Schlag auf mein Knie zeigte mir an, dass einer der Besatzung vor mir war. Ich öffnete ein Fenster auf meiner Seite, zog die Kopfhaube ab und steckte den Kopf hinaus in den Fahrtwind. Dies nützte aber nichts, da ich durch den starken Fahrtwind überhaupt nicht atmen konnte.
Das Feuer fraß sich bereits durch den Rumpf und erleuchtete die Tragflächen. Alles war in Lärm, Rauch, Funken und Feuer gehüllt und meine Augen tränten bereits sehr stark. Ich versuchte mich mit meinen Händen zum Ausstieg durchzutasten, als plötzlich ein mir unerklärbares Gewicht auf meinen Körper einwirkte. Dieses zwang mich auf die Knie und hilflos begriff ich, dass das Flugzeug ins Trudeln geraten war. Die Fliehkräfte pressten mich auf den Boden und ich war nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun.
Das nächste, was ich registrierte, war frische, kühle Luft und ich inhalierte diese in großen Zügen, Ein tolles Gefühl! Als ich endlich begriff, dass ich im freien Fall durch den Himmel raste, zog ich den Auslösegriff des Fallschirms. Gott sei dank öffnete er sich. Dabei durchzuckte ein stechender Schmerz meinen Körper.
Ich fühlte mich völlig schwerelos und alles erschien mir so ruhig und leise und die Luft war wundervoll kalt und frisch. Dann begann ich an den Füßen zu frieren und bemerkte, dass ich durch den Entfaltungsstoß meine Schuhe verloren hatt. Ach, was sollte es, Hauptsache der Schirm war offen und ich am Leben. Total entspannt und mit einer unnatürlichen inneren Ruhe, sah ich in geringer Entfernung den Glutofen der getroffenen Stadt und unter mir eine kleine Schneewolke. Ich wollte mich erst noch durch diese Wolke fallen lassen und dachte, was ich für ein Glück hatte, dass mich eine Explosion aus dem Flugzeug schleuderte und mir somit das Leben rettete. Noch so in Gedanken vertieft, tat es plötzlich einen Schlag und ich kam unsanft auf der Erde auf, federte ab und kam böse mit dem Kopf auf dem Boden auf. der Fallschirm blähte sich im Wind auf und zog mich über die Erde. Was ich für eine Schneewolke hielt, war in Wahrheit ein schneebedeckter Berg. Glück gehabt! In der Ferne sah ich einen bewaldeten Hügel und ich beschloss, erst einmal dorthin zu gelangen. Den Fallschirm nahm ich auf die Arme und ging auf Socken durch die kalte Nacht auf den Hügel zu. Ich erreichte diesen, war aber bereits so geschwächt, dass ich beschloss eine Pause einzulegen. ich legte den unteren Teil des Sitzfallschirms an einen Baum, zog meine verschmutzten und bereits gefrorenen Socken aus und legte diese auf den Fallschirm. Dann wickelte ich die Seide um meine Füße und zog den Rest über mich und versuchte dann einzuschlafen. Leider gelang mir dieses aber nicht so richtig, Ich hatte einen schrecklichen Geschmack nach verbranntem Öl im Mund, mein linkes Auge brannte stark und ich hatte das Gefühl, dass das verbrannte Augenlid über die Pupille scheuerte. Die Haut an meinem Gesicht fühlte sich rau und schorfig an. Dann bemerkte ich, dass ich meinen Fluchtbeutel verloren hatte. Kein Wunder, denn er befand sich ja in einem meiner verlorengegangenen Stiefel. Die Kartenmappe fehlte auch und mein Geldbeutel war leer. Am linken Knie und dem Ellbogen hatte ich Prellungen und mein rechtes Schienbein schmerzte sehr. Nun lag ich da und musste mich für die weitere Vorgehensweise entscheiden. Sollte ich cirka 100 Meilen zum Rhein ohne Essen, Stiefel, Kompass und warme Kleidung wagen? Die Chancen, dort lebend anzukommen, schätzte ich als sehr gering ein. Außerdem wusste ich, dass mein Gesicht und die Augen verletzt waren und ich hatte Angst, dass meine Füße erfrieren könnten. Es begann zu regnen und kurz darauf fiel auch schon Schnee. Jetzt glaubte ich, es wäre besser, mich den Deutschen zu ergeben und mich in die Hände der Luftwaffe oder der Wehrmacht zu begeben. Zivilisten sind oft sehr gefährlich und schlugen auch schon mal Flieger zu Tode. Um 20.32 Uhr gelandet und zwischen 23.30 und 00.00 Uhr bereits mit den Nerven fertig, beschloss ich nun, mir einen Unterschlupf zu suchen. Ich riss Streifen vom Fallschirm herunter und wickelte mir diese um die Füße. Nun konnte ich gehen und ich begab mich auf einen Forstweg, der mich aus dem Wald führte. Das Feuer in Gießen, welches drei bis vier Meilen entfernt lag, tauchte die Umgebung in ein unheimliches rotes, schimmerndes Licht. Nach cirka zwei Meilen kam ich in ein Dorf mit großen alten Fachwerkhäusern (Leidenhofen). Ich klopfte an eine Tür und erhielt keine Antwort. Ich versuchte es an einer anderen Tür, aber auch hier hatte ich keinen Erfolg, Ich probierte es noch mehrmals, dann fing bei der letzten Tür ein Hofhund an zu bellen und gerade als ich weggehen wollte, öffnete ein jugendlich aussehender Deutscher die Tür und sagte laut "Heil Hitler!". Ich ging ihm die Treppe entgegen und sagte "Luftwaffe, Anglais, Parachutist" und so weiter. Der Deutsche schaute sehr überrascht und nach einer Weile begriff er auch, wen er vor sich hatte. Aber anstatt mir zu helfen oder mich gefangenzunehmen, hob er seine Hände vor Angst hoch und schrie so laut, dass ich das Weite suchen wollte. 
Anschließend ging ich völlig unbehelligt im Dorf umher. Ich entdeckte eine Leiter, die auf einen Heuschober führte. Hier kletterte ich hoch, wickelte mich in den Fallschirm ein und schlief friedlich ein. Ich schlief bis so gegen 8.00 Uhr, als mich Schritte und das Knarren der Leiter weckten. Ein Mann begann sich am Heu zu schaffen zu machen und er trug einen Arm voll nach dem anderen hinaus. Bis jetzt hatte er mich noch nicht entdeckt und ich dachte schon an Flucht, entschied mich dann aber doch, aufzugeben. Ich stand aus dem Stroh auf und als der Mann wieder hereinkam, erstarrte er nur kurz und ich stellte mich in meinem besten Englisch vor. Er führte mich wie einen Gefangenen aus der Scheue heraus, Er tat dies so sicher, als würde er jeden Tag nichts anderes machen, als Fallschirmspringer gefangenzunehmen.
Der alte Mann brachte mich dann zu einem Haus mit einen Telefon und rief eine höhere Dienststelle an. Ich stand derweil barfuß im Flur dieses großen Hauses, wo bestimmt mehrere Familien, hauptsächlich wohl Frauenvolk, wohnten. Indessen hatte sich nun fast das ganz Dorf vor der Haustür im Halbkreis versammelt. Jeder schaute auf mich. Die Menge bestand aus Frauen. Kindern und ein paar alten Bauern. Ein großgewachsener 16-jähriger Junge brachte mir ein Paar Hausschuhe. Ich gab ihm dafür eine Zigarette und Feuer. Wahrscheinlich war dies seine erste Zigarette, aber er kam nicht dazu, sie zu rauchen, da der alte Mann die Zigarette dem Jungen aus der Hand schlug und ihm eine Ohrfeige gab. Warum, konnte ich nicht feststellen, vielleicht sollte er nicht rauchen, oder mit dem Feind sympathisieren.
Der alte Bauer hatte auf einmal eine alte Pistole (eine Luger) in der Hand und bedeutete mir, hier zu warten. Er nahm mir die Hausschuhe weg und ich zog meine Schwimmweste aus, da ich anfing zu schwitzen. Gegenüber befand sich ein großers Haus und auf dem Hof befand sich ein Schweinstall. Dorthin wurde ich nun gebracht und zusammen mit den Schweinen eingesperrt. Nach langer Zeit kam endlich ein junger Luftwaffenoffizier, der mich aus dem Stall holte und in das Haus mitnahm. Hier erhielt ich auch die Hausschuhe zurück und sofort begann das Verhör. Meine Antwort auf all diese Fragen lautet nur "No sprachen die Deutsch". Bald kam ein Lkw der Luftwaffe mit einer Menge an Flugzeugteilen wie Radar, Bombenzielgerät und so weiter auf der Ladefläche an und obendrauf saß wie auf einem Thron Ron Brock. Wir gaben uns jedoch keinen Regungen hin, die uns als Kameraden enttarnen konnten. Ich kletterte auf die Ladefläche und wir fuhren in Richtung Marburg. Mit an Bord lag ein blutverschmierter Fallschirm. Ich war sehr erstaunt, wie viele motorisierten Kolonnen sich auf der Straße befanden.
Nach cirka 15 Kilometern stoppten wir in einem anderen Dorf und wurden in ein Haus gebracht, wo wir Jack Vincent trafen. Ein höherer Offizier trat ein und zeigte uns Bilder von Bert und fragte, ob wir ihn kennen würden. Wir schüttelten unschuldig unsere Köpfe und verneinten die Frage. Auf einmal sagte der Offizier:
 "Dieser Mann ist tot." Kurz nach 15.00 Uhr verließen wir das Haus in Marburg und saßen hungrig und müde auf der Pritsche des Lkw. Es ging zu einem Fliegerhorst der Luftwaffe, cirka acht bis zehn Kilometer außerhalb von Marburg (Bracht), Als wir dort ankamen, durften wir uns an einem Feuer wärmen und es gab erstmal reichlich zu Essen. In dieser Nacht nahmen wir das Abendessen in unserer Zelle ein, als plötzlich die Tür aufgeschlossen wurde und Tom (Kerrigan) und Doug (Green) hereinspaziert kamen. Himmel war ich froh die beiden zu sehen, da ich bisher dachte, dass einer von beiden auf jeden Fall tot war.
Am nächsten Morgen verließen wir Bracht mit einem Lkw nach Marburg. Dort bestiegen wir einen Zug und fuhren Richtung Gießen. Die Stadt erreichten wir nach knapp zwei Stunden. Es brannte immer noch und die Stadt war total im Chaos versunken. Dies war das erste Mal, dass ich mich persönlich davon überzeugen konnte, was unsere Bombardierungen anrichteten und ich danke heute noch Gott dafür, dass uns Australiern dies erspart worden ist. Alles um uns herum lag in Trümmern, überall Rauch und Feuer, die Eisenbahnschienen waren verbogen und zum Teil geschmolzen. Große Eisenbahnwaggons, teilweise mit Beladung, lagen im Umkreis von 100 Yards umher, die Bäume am Gleisrand bestanden nur noch aus Stümpfen.
Wir konnten auch sehen, dass wir unser Hauptziel verfehlt hatten. Der Personenbahnhof und die strategisch wichtige Lahnbrücke standen noch. Durch die Zerstörungen ging es nicht mehr weiter. Wir mussten den Zug verlassen und begaben uns zu Fuß auf unser Ziel zu. Rechts und links standen Arbeiter und Hilfskräfte mit Schaufeln uns Spaten. Wir dachten, dass die jederzeit auf uns einschlagen müssten, aber es passierte gar nichts und nach cirka acht Kilometern Fußmarsch waren wir froh, alles unbeschadet überstanden zu haben. Hier konnten wir wieder einen anderen Zug besteigen, der uns Richtung Frankfurt bringen sollte. Die deutschen Bahnstrecken waren schon arg in Mitleidenschaft gezogen und so dauerte es sehr lange, bis wir nach mehrmaligen Umsteigen Oberursel erreichten, Hier befand sich das deutsche Verhörzentrum der Luftwaffe. "

Flight Lieutenant Jack Herbert Vincent aus Enfield, New South Wales, Australien, der Navigator, geriet in Ilschhausen in Kriegsgefangenschaft und wurde dort anständig behandelt, was der Bevölkerung in dieser schweren Zeit hoch anzurechnen ist.

Ebenfalls in Ilschhausen, aber einen Tag später, wurde auch der Heckschütze, Sergeant J. Thomas Kerrigan, gefangengenommen. Nachdem er schon die ganze Nacht nach dem Fallschirmabsprung und den ganzen Tag am 7. Dezember durch die Wälder geirrt war, kam er am Abend an die Haustüre der Familie Cloos. Von dort verständigte man den Landwachtmann Peter Mann, der den durchnässten Flieger abholte und mit nach Hause nahm.

Herr Mann telefonierte noch am Abend mit dem Ebsdorfer Gendarm und lehnte einen Transport, noch am selben Abend, ab. Tom Kerrigan blieb die Nacht im Haus der Familie Mann. Am nächsten Morgen brachte ihn Herr Mann von Ilschhausen nach Marburg zur Militärkommandantur, nicht aber ohne einen Halt in Hachborn zu machen, wo Kerrigan von seinen beiden gefallenen Kameraden Abschied nehmen konnte. Dazu benutzte man den Milchwagen, der als eines der wenigen noch vorhandenen Fahrzeuge motorisiert, wenn auch nur mit Holzvergaser, unterwegs war.

Nach der Übergabe an das Militär in Marburg gab Kerrigan Herrn Mann noch die Hand und verabschiedete sich bei ihm.
Dies aber mißfiel einigen der Herren in Marburg und man lud Herrn Mann wenige Tage später in der Strafsache gegen ihn, wegen „Verabschiedung eines Terrorfliegers mit Handschlag”vor das Arbeitsgericht. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, daß es so schien, als ob der „Terrorflieger” den unbewaffneten Landwehrmann abgeführt hätte und nicht umgekehrt.

Zur angesetzten Verhandlung erschien Peter Mann, krankheitsbedingt, nicht. Eine Rücksprache des zuständigen Richters mit der Ehefrau ergab dann, daß Peter Mann bei der Ablieferung eine Pistole in der Rocktasche gehabt habe. Auch fiel noch die Aussage von Frau Mann, daß sie hoffe, daß deutsche Soldaten die in Gefangenschaft gehen, genauso behandelt werden, wie man den Engländer behandelt habe. Damit war dieser Strafbefehl aus der Welt und Herr Mann bekam noch eine Urkunde wegen Gefangennahme eines „Terrorfliegers”.  

Das siebte Besatzungsmitglied, Flight Sergeant Francis Douglas Green aus Randwick in New South Wales, neben dem Piloten und dem Navigator der dritte Australier an Bord, geriet ebenfalls in Gefangenschaft. Wo aber der Ort seiner Gefangennahme war, läßt sich nicht mehr feststellen.

(Drei Besatzungsmitglieder der ME725. F/O Donnelly, F/S Green und F/L Vincent.)
(Fotos: Royal Australian Air Force)


Die beiden gefallenen Sergeants Ayres und Steers wurden zunächst ins Spritzenhaus nach Hachborn gebracht und am nächsten Tag von der Ortspolizeibehörde auf dem Friedhof in Hachborn beigesetzt. Von einem britischen Bergekommando wurden sie am 23. Mai 1947 exhumiert und auf den englischen Friedhof nach Hannover überführt. Dort ruhen sie heute nebeneinander in den Gräbern 4.J.6 und 4.J.7.

Bei unserer Suche nach dem deutschen Nachtjäger, der diese Lancaster abgeschossen haben könnte, stießen wir unter anderen auch auf eine Besatzung der IV. Gruppe des Nachtjagdgeschwaders 6, welche an diesem Abend einen Luftsieg über eine Lancaster erzielte.

Es war der Flugzeugführer Fähnrich Dieter Erichsen, der mit einer Messerschmitt Bf 110 G-4 um 18.45 Uhr in Kitzingen zu diesem Feindflug gestartet war. Der Nachtjäger trug die Kennung 2 Z + B V.

Im Herbst 1997 gelang es uns, durch Hilfe von Herrn Wolfgang Scholz aus Schweinfurt, einem weiteren Erforscher des Luftkriegs, ihn in Erftstadt ausfindig zu machen.

Er konnte uns bestätigen, daß er in dieser Nacht einen Luftsieg über eine Lancaster im Luftraum über Gießen errungen hatte, welcher ihm auch zuerkannt wurde. Es war sein vierter von insgesamt fünf Luftsiegen, die er in seiner Karriere als Nachtjagdflugzeugführer erreichte. In dieser Nacht waren mit ihm an Bord der Nachtjagdmaschine sein Bordfunker Unteroffizier Willi Janus und als Bordschütze bzw. Bordmechaniker der Ogfr. und 1. Wart seiner Maschine Otto Armbruster.

(Die deutsche Nachtjagdbesatzung, die die Lancaster abgeschossen haben könnte.Fw. Erichsen (oben), Uffz. Janus (unten links) und Ogfr. Armbruster (unten rechts).
(Fotos: Wolfgang Scholz)

Von einem Freund aus England, Melvin Brown, erhielten wir noch einen Zeitungsauszug mit einem Foto von Sgt. Steers und die Kopie eines Fotos des Piloten F/O Donnelly.

(Der Zeitungsbericht zum Tod von Sergeant Albert Henry Steers.)
(Foto: Melvin Brown)

Bei einem Besuch bei der Familie Mann in Ilschhausen durften wir noch einen Blick auf ein größeres Flugzeugteil der Maschine werfen, welches von einer der Tragflächen stammt.
Nach dem Krieg diente dieses Teil als Überdachung für eine Hundehütte. Heute steht es in einem abgelegenen Teil des Stalles und wartet auf eine neue Verwendung.

Auf den Feldern, auf die die Flugzeugteile stürzten, ist heute nicht mehr viel zu erkennen.
Ein Abholkommando vom Fliegerhorst Bracht unter Oberfeldwebel Grundmann hatte an den Tagen nach dem Absturz schon gründlich aufgeräumt und die meisten Teile abtransportiert. Nur ganz selten kommt heute beim Pflügen ein kleines Blech oder etwas Glas zum Vorschein. Einmal sah ich auch einen Teil von einem MG-Gurt mit einzelnen Hülsen darin. Eine Gefahr besteht an der Aufschlagstelle aber nicht mehr, da der Bomber seine tödliche Last schon vor dem Absturz abgeworfen hatte.

Im Heimatmuseum in Staufenberg befanden sich noch Teile der Maschine und Ausrüstungsgegenstände der Besatzungsmitglieder. Neben anderen Dingen waren dort auch noch die Fliegerstiefel des Piloten eingelagert, auf welchen man den Namen Donnelly lesen konnte. Diese Teile wurden dann im Jahr 2011 oder 2012 an ein anderes Museum weitergegeben.


 

Absturz eines viermotorigen britischen Bombers
 

Ort:      Ilschhausen, Rechts der Straße in Richtung Fortbach

Datum:      06. Dezember 1944

Uhrzeit:      ca. 20.35 Uhr

Flugzeugtyp:      Avro Lancaster B.I

Werknummer:      ME725

Hersteller:      Metropolitan Vickers, Trafford Park, Manchester-Mosley Road Works

Motoren:      4 wassergekühlte 12 Zylinder Rolls-Royce Merlin XXIV

Einheit:      No. 61. Squadron, No. 5 Group

Kennung:      Q R (Kokarde) G

Heimatflughafen:      Skellingthorpe in Lincolnshire

Startzeit:      16.39 Uhr

Angriffsziel:      Gießen - Bahnanlagen

Absturzursache:      Nachtjägerbeschuß


Besatzung:

 Pilot: F/O Clarence A. Donnelly (RAAF) Gefangenschaft

Bordmechaniker: Sgt. Albert H. Steers (RAF) Gefallen

Navigator: F/L Jack H. Vincent (RAAF) Gefangenschaft

Bombenschütze: Sgt. Ronald D. D. Brock (RAF) Gefangenschaft

Bordfunker: F/S Francis D. Green (RAAF) Gefangenschaft

Mittelturmschütze: Sgt Leonard Ayres (RAF) Gefallen

Heckschütze: Sgt. J. Thomas Kerrigan (RAF) Gefangenschaft 


 

Mornshausen an der Salzböde, Mittwoch, 6. Dezember 1944
 

Alle sieben Besatzungsmitglieder kamen beim Absturz eines englischen Lancaster-Bombers am Dreisberg bei Mornshausen ums Leben.
Es war etwa 20.30 Uhr, als sich die Maschine mit unvorstellbarer Wucht in den Wald an der Westseite des Dreisbergs bohrte.
Die Trümmer des Flugzeugs waren weit mehr als dreihundert Meter im Wald verteilt und zwischen den Trümmern fand man auch die sterblichen Überreste der Besatzung. Diese waren den Männern nicht mehr zuzuordnen. Eine einzelne Erkennungsmarke, ein Ring oder ein Anhänger von einem Armband, manchmal auch nur ein Aufnäher, der auf einem Uniformteil gefunden wurde, halfen später, die menschlichen Teile zumindest der Besatzung zuzuordnen.
Die jungen Flieger waren schrecklich verstümmelt und nicht mehr als Menschen zu erkennen.
Kein einzelnes Besatzungsmitglied konnte von den deutschen Behörden identifiziert werden.
Die vom Aufräum- und Abholkommando bei der Bergung im Wald gefundenen sterblichen Überreste wurden am Rande der Absturzstelle in einer Grube gemeinsam bestattet.

Erst nach Kriegsende, als sich eine amerikanische Gräberkommission an die Aufarbeitung des Absturzes machte, wurde das Drama dieser Nacht am Dreisberg geklärt.
Es handelte sich um eine Besatzung der 57. Bomber Squadron der Royal Air Force. Sie war um 16.36 Uhr zu ihrem insgesamt siebten Einsatz vom Fliegerhorst East Kirkby in Lincolnshire, England, zum Angriff auf Gießen gestartet.

Ihre Bombenladung, bestehend aus einer 4000 lb. Luftmine und 1950 vier lb. Stabbrandbomben, hatte der Bombenschütze Flying Officer Kenneth Albert Foley bereits über dem Stadtgebiet Gießen abgeworfen, als sich der 32-jährige Pilot, Squadron Leader William Alexander S. Neil aus Northcote, Auckland in Neuseeland, auf den Rückweg machte. Dieser Pilot aus Neuseeland gehörte nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, zur Royal New Zealand Air Force, sondern flog schon viele Jahre für die Royal Air Force, also für die Engländer.

Der Navigator, Flight Sergeant Eric Howard Pitt Watkins, der den Rückflugkurs berechnete, saß wahrscheinlich gerade an seinem Kartentisch, als das Unheil über den viermotorigen Bomber hereinbrach. Ob es dem erst 20jährigen Bordfunker, Sergeant William Edward Wright aus Ohan in Anyllshire, noch gelang, einen Notruf zu senden, kann heute nicht mehr festgestellt werden, und ob die beiden Abwehrschützen ihre Lancaster gegen den Angriff des deutschen Nachtjägers zur Wehr setzten, können uns diese nicht mehr beantworten, denn auch der 21jährige Heckschütze, Sgt. Leslie Frank Whale aus Ausley, Warwickshire, und der Mittelturmschütze Sergeant James Charles Flello kamen beim Aufschlag ums Leben. Den Bordmechaniker, Sgt. George Nixon, 23 Jahre alt, aus Seaham, traf das gleiche Schicksal.

Die komplette siebenköpfige Besatzung der Avro Lancaster B.I mit der Werknummer NG199 und der Kennung DX (Kokarde) L verlor ihr Leben.

Die bei Armstrong Whitworth Aircraft in Bagninton gebaute Maschine war mit vier Rolls Royce Merlin XXIV Motoren ausgerüstet und verfügte als Abwehrbewaffnung über acht bis zehn Maschinengewehre vom Kaliber 7,7 mm.

Es sieht heute so aus, daß die Besatzung den Angriff des deutschen Nachtjägers nicht erkannt hatte. Vermutlich von unten, mit nach oben schießenden Maschinengewehren der sogenannten „Schrägen Musik”, hatte der Deutsche angegriffen. Er scheint sofort die Tanks getroffen und die Maschine dadurch zum sofortigen Absturz gebracht zu haben. Anders läßt sich nicht erklären, daß kein Besatzungsmitglied mehr abgesprungen war.

Wir vermuten heute,daß es sich bei dem deutschen Nachtjäger um Feldwebel Günter Liersch von der 11./NJG 6 handelt. Dies müßte sein zweiter Luftsieg in dieser Nacht gewesen sein. Er selbst nennt als Uhrzeit 20.19 und als Ort nordwestlich Gießen.

Doch auch sein Schicksal und das seiner Besatzung sollte sich nur wenige Tage später erfüllen. In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1944 kam die Besatzung, Flugzeugführer Fw. Günther Liersch, Bordfunker Feldwebel Walter Preißler und Bordmechaniker Ogfr. Rudolf Keller, westlich von Gundersheim ums Leben, als ihre Maschine vom Typ Messerschmitt Bf 110 G-4, vermutlich wegen einer Motorstörung, unbeabsichtigte Bodenberührung hatte.

Noch heute findet man am Dreisberg Teile der englischen Lancaster; Rohrleitungen, Blechteile, Gummidichtungen, Kunststoffglas und vieles andere liegt noch unter dem Laub. Die vier Trichter, die durch den Einschlag der Motoren entstanden sind, sind noch gut zu erkennen. Da die Besatzung durch den Aufschlag ja auch komplett zerrissen wurde, dürften sich im Waldboden auch noch Knochen der Crew finden lassen. Schon in den 1970er und 1980er- Jahren wurden von Interessierten viele Teile dort gefunden. Ein Teil davon lagert heute in einem Museum in Hessen.

Die von der Gräberkommission im Jahr 1945 geborgenen menschlichen Überreste wurden auf den englischen Friedhof nach Hannover überführt und dort gemeinsam in einem Kameradengrab beigesetzt.

Die wenigen damals noch aufgefundenen und geborgenen Überreste der sieben Flieger ruhen dort heute im Block 6, Reihe K, Gräber 9 bis 15.


(Die Gräber der Crew auf dem englischen Friedhof in Hannover.)
(Fotos: Dirk Sohl)


 


(Die Absturzstelle Ende 2013. Die Einschlagtrichter der Motoren sind noch gut zu erkennen)(Fotos: Dirk Sohl)


 


(Auch Flugzeugtrümmer lagen Ende 2013 noch an der Absturzstelle herum)(Fotos: Dirk Sohl)


 

Absturz eines viermotorigen britischen Bombers
 


Ort:      Mornshausen a. d. Salzböde, Am Dreisberg

Datum:      06. Dezember 1944

Uhrzeit:      ca. 20.30 Uhr

Flugzeugtyp:      Avro Lancaster B.I

Werknummer:      NG199

Hersteller:      Sir W.G. Armstrong Whitworth Aircraft Ltd. in Whitley, Coventry

Motoren:      4 wassergekühlte 12 Zylinder Rolls-Royce Merlin XXIV

Einheit:      No. 57. Squadron, No. 5 Group

Kennung:      D X (Kokarde) L

Heimatflughafen:      East Kirkby in Lincolnshire

Startzeit:      16.36 Uhr

Angriffsziel:      Gießen - Innenstadt

Absturzursache:      Nachtjägerbeschuß

Besatzung:
Pilot: S/L William Alexander S. Neil (RAF) Gefallen

Bordmechaniker: Sgt. George Nixon (RAF) Gefallen

Navigator: F/S Eric Howard Pitt Watkins (RAF) Gefallen

Bombenschütze: F/O Kenneth Albert Foley (RAF) Gefallen

Bordfunker: Sgt. William Edward Wright (RAF) Gefallen

Mittelturmschütze: Sgt. James Charles Flello (RAF) Gefallen

Heckschütze: Sgt. Leslie Frank Whale (RAF) Gefallen 


 

Erdhausen an der Salzböde, Mittwoch, 6. Dezember 1944
 

Feldwebel Liersch von der 11. Staffel des Nachtjagdgeschwader 6 meldete nach seinen Luftsiegen von 20.17 Uhr und 20.19 Uhr einen dritten Erfolg in dieser Nacht. Um 20.20 Uhr hat er nordwestlich von Gießen einen weiteren viermotorigen Bomber abgeschossen, und tatsächlich, nicht weit von der Absturzstelle am Dreisberg bei Mornshausen entfernt, stürzte fast zeitgleich ein weiterer englischer Bomber ab. Etwas nördlich von Erdhausen schlug eine zweite Avro Lancaster B.I der 57. Bomber Squadron auf.
Kurz vor dem Absturz gelang es noch drei Besatzungsmitgliedern, die schwer getroffene Maschine zu verlassen.

Die um 16.30 Uhr vom Einsatzhafen East Kirkby in Lincolnshire, England, gestartete Maschine wurde vom Piloten, Flying Officer William Riddell aus Kemnay in Aberdeenshire, geflogen. Auch hier hatte der 21-jährige Bombenschütze, Flight Sergeant Neil Francis Dellaway McGladrigan aus Kallangur, Queensland, Australien, seine Bombenlast, bestehend aus einer 4000 lb. Luftmine und 1950 4lb. Stabbrandbomben, vorher über dem Stadtgebiet von Gießen ausgeklinkt. Die Maschine befand sich also schon auf dem Rückflug in Richtung England, als ein deutscher Nachtjäger die Maschine beschoss und zum Absturz brachte.

Kurz vor dem Absturz konnten neben dem Bombenschützen Neil McGladrigan noch der 24-jährige Bordmechaniker, Flight Sergeant John Scott aus Lossiemouth, Morayshire, Schottland und der Heckschütze, Sergeant J. Forward von der Royal Air Force abspringen - alle drei landeten fast unversehrt.

Beim Aufschlag der Maschine bei Erdhausen fielen neben dem Piloten der Navigator Flight Sergeant Peter Douglas Mann, 23 Jahre alt, aus Wimbledon Park in Surrey, England, der zweite Australier an Bord, der bereits 31-jährige Bordfunker, Flight Sergeant Frank Alexander Black aus East Brisbane, Queensland, und der junge, erst 20 Jahre alte, Mittelturmschütze, Sgt. Robert Shaw McKillop aus Stirling, Schottland.

(Sgt. Robert Shaw McKillop - Gefallen am 06.12.1944 bei Erdhausen.)
(Foto: http://aircrewremembered.com/riddell-william.html)
 

 
Die mit vier Rolls-Royce Merlin XXIV-Flugmotoren ausgerüstete und in den Metropolitan-Vickers-Werken hergestellte Lancaster wurde beim Aufschlag vollständig zertrümmert.

Die vier Gefallenen wurden zunächst auf dem Friedhof in Erdhausen beigesetzt, bevor sie nach Kriegsende auf den englischen Friedhof nach Hannover überführt worden sind. Hier ruhen diese in einem Kameradengrab im Block 11, Reihe E, Grab 1 bis 4.

Doch auch für zwei der drei Überlebenden war dieser zwölfte Einsatz der letzte. Während sich John Forward in Richtung Dillenburg absetzen konnte, dort festgenommen wurde und den Krieg als Kriegsgefangener überlebte, wurden die beiden anderen von deutschen Polizisten erschossen. Die Täter wurden später ermittelt und von einem britischen Kriegsgericht verurteilt. Über diese Gerichtsverhandlungen stehen uns umfangreiche Protokolle aus dem Nationalarchiv London zur Verfügung, so dass die Geschehnisse um die beiden Morde sehr detailiert dargestellt werden können.


Sergeant Scott geriet am 7. Dezember bei Wommelshausen in Gefangenschaft. Vom Gendarmeriekreisführer Karl Menge in Kenntnis gesetzt, mußte Oberwachtmeister Konrad Mangold den Gefangenen dort abholen, um ihn nach Weidenhausen zu bringen. Menge selbst machte sich auch auf den Weg in Richtung Weidenhausen und nahm unterwegs noch den Gendarmeriemeister Karl Schmidt mit. Auf der Straße an einem Waldrand stieß man dann auf Mangold und den gefangenen Engländer.

Menge erinnerte Mangold an eine Besprechung vom August des gleichen Jahres, in dem den Gendarmen mitgeteilt worden sein sollte, daß alle sogenannten Terrorflieger unmittelbar nach Gefangennahme zu erschießen seien. Im Polizeibericht sollte nur „Tot aufgefunden” eingetragen werde.
Der Meister der Gendarmerie, Schmidt, verhinderte die Erschießung mit dem Hinweis, dass Zivilisten vorbeikommen und die Tat beobachten könnten. Man solle den Gefangenen lieber der Luftwaffe in Gießen übergeben. So wurde die Untat zunächst nicht ausgeführt. Menge und Schmidt fuhren zurück nach Weidenhausen und begaben sich in die „Gaststätte Assmann”. Mangold und Scott folgten zu Fuß - anschließend wurde Scott in der Zelle am Bürgermeisteramt Weidenhausen eingesperrt. Eine Vernehmung scheiterte erstens an der Sprache und zweitens war Scott offensichtlich nicht gewillt, irgendwelche Angaben zu machen. Bei einer anschließend erfolgten Besprechung in der Gaststätte Assmann (heute unter dem Namen "Petersburg" bekannt) muß Menge Mangold nochmals auf seine „Pflicht” hingewiesen haben, den Gefangenen zu erschießen, anderseits würde er selbst vor ein SS-Gericht kommen.

Zwischenzeitlich machte Scott in der Zelle durch Schreien und Klopfen auf sich aufmerksam. Daraufhin begaben sich der Bürgermeister Ludwig Michel und der Ortsdiener Heinrich Thomas zu ihm. Nach einem kurzen Disput - keiner verstand die Sprache des anderen - wurde der Gefangene von Michel mit einem Stock niedergeschlagen.

Konrad Mangold und Bürgermeister Ludwig Michel sahen keine Möglichkeit, sich der Anordnung des Polizeichefs Menge zu widersetzen und beauftragten den Ortsdiener Heinrich Thomas nachzuschauen, ob sich ein bestimmter Graben in der Nähe des Friedhofs als Grab eignet. Nach der Rückkehr von Thomas holten Mangold und Michel den Gefangenen aus der Zelle und begaben sich, als es schon dunkel war, mit dem noch benommenen Flieger zu diesem Graben - Thomas ging mit einer Schaufel voraus. Dort angekommen erschoß Mangold Scott mit einem gezielten Schuß aus kürzester Entfernung. Michel und Thomas erweiterten den Graben zu einem Grab und gemeinsam wurde der Tote begraben. Sehr spät am Abend dieses Tages suchten Michel und Mangold die Geststätte Assmann auf und ließen sich von der Wirtin eine "Henkermahlzeit" servieren - ohne zu sagen, was sie damit meinten.


(Sgt. John Scott - Der Bordmechaniker der PD264 - Ermordet bei Weidenhausen.)
(Foto: http://aircrewremembered.com/riddell-william.html) (via Melvin Brown)

Aktuell:
Im Oktober 2020 beschließt die Stadtverordnetenversammlung von Gladenbach, in Weidenhausen - ca. 200 m von der Stelle entfernt, an der Scott getötet wurde - eine neu zu bauende Straße nach ihm zu benennen: "John-Scott-Weg". Desweiteren beabsichtigt der Heimatverein von Weidenhausen, an Scott in Form eines Stolpersteins zu erinnern.

Der Bombenschütze, Flight Sergeant McGladrigan, geriet ebenfalls am 7. Dezember 1944 in Gefangenschaft. Von zwei Zivilisten wurde er abends in der Gemarkung Amelose bei Mornshausen/D. gefangen genommen und dem zuständigen Gendarmen, Oberwachtmeister Otto Koch, übergeben. Dieser brachte ihn ins Bürgermeisteramt von Mornshausen und führte eine Erstversorgung der leichten Verwundungen durch. Bürgermeister Weigel und dessen Ehefrau gaben dem Gefangenen zu essen und zu trinken. 

Am 8. Dezember brachte Koch McGladrigan, der an diesem Tag 22 Jahre alt geworden war, nach Biedenkopf auf die Polizeiwache und informierte den Kreisgendarmerieführer Menge darüber. Dieser war sehr erbost und fragte Koch, warum er den Flieger nicht erschossen habe. Koch antwortete, dass er dies nicht machen könne, da er selbst vier Söhne im Kriesgdienst habe und nicht möchte, dass mit diesen im Falle einer Gefangennahme ähnlich verfahren werde.
Ein Transport des Gefangenen nach Wetzlar scheiterte am 09. Dezember 1944 entweder daran, weil Koch den Zug verpasste, oder weil überhaupt kein Zug fuhr.
Daraufhin ordnete Menge an, den Gefangenen am 10. Dezember an Oberwachtmeister Mangold zu übergeben. Man traf sich auf der ehemaligen Reviergrenze Biedenkopf/Gladenbach bei Runzhausen. Dort übernahm Mangold den Gefangenen. Mangold, McGladrigan, Koch und der Angehörige der Landwacht, Ludwig Will begaben sich in das Waldstück "Mittelscheid" in dem Will bereits ein Grab ausgehoben hatte. Da der Boden außerhalb des Waldes zu fest gefroren war, hatte Will etwa 8 Meter im Wald zwischen vier starken Fichten gegraben.

Neben Oberwachtmeister Mangold und F/S McGladrigan waren nur Oberwachtmeister Koch und der Bezirksoberwachtmeister Will bei der Erschießung zugegen. In der Nähe des Grabes schoß Mangold um etwa 21.30 Uhr auf den Gefangenen. Dieser fiel um, aber lebte noch. Daraufhin drückte Mangold noch mehrfach den Auslöser seiner Pistole, die aber versagte. Nun zog Will seine Pistole und tötete den Gefangenen durch einen Schuss in die Schläfe, anschließend wurde McGladrigan von den Anwesenden in dem Erdloch begraben.

 

(F/S McGladrigan)

(Foto: https://www.awm.gov.au/collection/R1721895 und https://aircrewremembered.com/riddell-william.html) 

(via Horst Jeckel)


Im Sommer 1945 wurden Tat und Täter bekannt, die Leichen ausgegraben und obduziert, die Täter verhaftet.
Im Mai 1947 fanden in Braunschweig vor einem britischen Kriegsverbrechergericht zwei Verhandlungen statt. 
Mangold, der an beiden Morden beteiligt war, wurde zum Tode durch Erschießen verurteilt. Ein Befehlsnotstand wurde ihm nicht zuerkannt, sicher auch deshalb nicht, weil Koch die Ausführung eines solchen Befehls folgenlos verweigern konnte. Das Urteil wurde jedoch, nachdem Mangold ein halbes Jahr in Hameln in der Todeszelle gesessen hatte, in 20 Jahre Haft umgewandelt. Zu verdanken hat er dies einem Gnadengesuchs des Erzbischofs von Köln, Kardinal Frings, und dem Umstand, dass seine Mittäter auch nur Haftstrafen erhielten. Andere Gnadengesuche, u.a. das seiner Ehefrau und seinen fünf Kindern, waren zuvor abschlägig beschieden worden.
Im Jahre 1953 erkrankte er in der Justizvollzugsanstalt Werl schwer und wurde aufgrund eines Gnadenaktes der Britischen Königin nach Hause entlassen. Gestorben ist er 1971 in Gladenbach.


(Oberwachtmeister Konrad Mangold)
(via Robert Steiner)

Michel, der Bürgermeister von Weidenhausen, sollte für zwölf Jahre ins Gefängnis, kehrte aber bereits, ebenfalls 1953 in seine Wohnung in Weidenhausen zurück.
Das Urteil gegen Will, den Landwachtmann aus Gladenbach, fiel mit zehn Jahren Haft recht mild aus.
Auch er war vorzeitig wieder in Freiheit, wurde 1952 wegen guter Führung entlassen.
Schmidt, der Gladenbacher Polizist, der nicht unmittelbar an den Morden beteiligt war, wurde zu einem Jahr Haft verurteilt, hatte aber bei seiner Entlassung 1948 mit der Untersuchungshaft 2 1/2 Jahre abgesessen. Freigesprochen wurde der Eckelshäuser Polizist Koch.

Der in diesem Fall Hauptschuldige, der Polizeichef von Biedenkopf, Karl Menge, stammte aus Eigenrode/Thüringen und kam am 01.09.1943 über verschiedene Stationen nach Biedenkopf.
Unmittelbar vor dem Einmarsch der alliierten Streitkräfte im März 1945 fuhr an seiner Wohnung in Biedenkopf ein Wagen vor, er stieg ein und wart nicht mehr gesehen. Weder den Ermittlungsbehörden, noch seiner Ehefrau und auch nicht einer jungen Frau aus Biedenkopf, die im Juli 1945 ein Kind von ihm geboren hatte, ist es gelungen, seinen Verbleib zu ermitteln.

Erst im Jahr 2020 konnten konkrete Hinweise auf den Verbleib von Menge erlangt werden:

Laut Unterlagen des Stadtarchivs Mühlhausen/Thüringen wohnte Frau Menge am 01.05.1946 dort unter der Adresse Brückenstraße 25 zusammen mit einer weiteren namentlich nicht genannten Person – es darf angenommen werden, dass es sich hierbei um Karl Menge handelte, der in der Einwohnerkartei nicht selbst vermerkt ist. Frau Menge stellte an diesem Tag handschriftlich den Antrag an das Wohnungsamt Mühlhausen, eine Wohnung im Haus Windebergerstr. 106, zugewiesen zu bekommen - offensichtlich wurde am 21.05.1946 diesem Antrag stattgegeben. Am 11.11.1953 wohnt Frau Menge im Haus Sondershäuser Straße 52 (Mühlenbetrieb „Kreuzmühle“ der Familie Wender) und stellt erneut einen Antrag auf einen Wohnungswechsel, jetzt zu dieser Adresse: An der Burg 9.

Karl Menge wohnte sicher auch in beiden letztgenannten Wohnungen. Die Wohnung an „An der Burg 9“ verließ er offensichtlich schon am 30.11.1952. Dies alles ergibt sich aus einer Haushaltskarte, auf der Karl Menge namentlich zusammen mit seiner Ehefrau eingetragen ist und auf der Bezugsscheine/Lebensmittelkarten vermerkt sind. An diesem Datum des Wegzugs ist der Hinweis „Oranienburg“ angebracht – möglicherweise handelt es sich hier um das "Sowjetische Speziallager Sachsenhausen-Oranienburg", in dem die Russen Funktionsträger des 3. Reiches internierten. Damit verliert sich die Spur des Ehepaares in der damaligen DDR.

Somit kann über den Aufenthalt von Menge vom 30.11.1952 bis zum 25.08.1953 im Moment nur spekuliert werden: Ist er direkt in den Westen gegangen? War er im Lager der Russen und wie ist er von dort weggekommen? Eine Antwort auf meine Anfrage bei der Gedenkstätte Sachsenhausen, in der sich auch Unterlagen über das Sowjetische Speziallager befinden, steht noch aus.

Laut Auskunft des Historischen Stadtarchivs Köln kam Menge am 26.08.1953 dort zur Anmeldung. Als mögliche Zwischenstationen sind die Auffanglager für DDR-Flüchtlinge Wentdorf oder Warburg vermerkt. Laut Eintrag auf dem Einweisungsschein wohnte Menge in der DDR zuletzt in Mühlhausen/Thüringen. Im Archiv der Gemeinde Wentorf (heute Ortsteil von Schwarzenbek) befindet sich bezüglich Menge eine Karteikarte des Auffanglagers Wentorf mit diesem Vermerk: „Von Lager Warburg über Wentorf am 25.8.53 nach S.K. Köln mit Registrierschein eingewiesen". Hier ist als letzter Wohnort in der DDR Frankenhain/Sachsen-Anhalt angegeben – Orte mit diesem Namen in dem fraglichen Gebiet gibt es nur in Sachsen (heute Ortsteil von Frohburg) und Thüringen (heute Ortsteil von Geratal). Wann Menge im Lager Warburg eintraf, ist nicht bekannt.

Menges Ehefrau ist, von Mühlhausen/Thüringen kommend, am 27.10.1954 als Zuzug in Köln vermerkt (Quelle: Auskunft Historisches Stadtarchiv Köln). Im Adressbuch von Köln erscheint Menge erstmals in der Ausgabe von 1958 unter der Adresse Koburger Straße 6, später unter Görrestraße 3. Unter Adresse Görrestraße 3 verstarb Menge am 02.08.1967 (Standesamt Köln, Urkunden-Nr. 1363) – seine Ehefrau am 19.04.1976. Sie war hier amtlich gemeldet: Pfälzer Straße 2-4, Köln, verstorben ist sie im Krankenhaus der Augustinerinnen in Köln, Jakobstraße 27-31 (Standesamt Köln, Urkunden-Nr. 531).

(Bezirksoberleutnant der Gendarmerie Karl Menge)

 (Quelle: Nationalarchiv London, Archiv Nr. WO 309/914)

(Foto: via Horst Jeckel)

Die beiden ermordeten Flieger wurden nach dem Krieg nach Hannover umgebettet und ruhen dort neben ihren beim Absturz gefallenen Kameraden in den Gräbern 11.E.5 und 11.E.6.

 



(Die Gräber der Besatzung auf dem englischen Friedhof in Hannover.)
(Foto: Dirk Sohl)


Leider gelang es mir bis heute nicht, den einzigen Überlebenden dieser Besatzung, Herrn John Forward, oder dessen Angehörige in England ausfindig zu machen. 

Es ist von unserer Seite geplant in näherer Zukunft ein eigenes Thema für die Fliegermorde in unserer
näheren Heimat zu erstellen. Dafür werden Robert Steiner aus Leidenhofen und Willi Balzer aus Buchenau
die Erkenntnisse ihrer langen und schwierigen Recherchen zu den Tätern, Opfern, Verhandlungen etc. hier
wiedergeben. Dafür danken wir den beiden heute schon sehr und hoffen diese Seite noch vor dem 75. Jahrestag der Geschehnisse veröffentlichen zu können.


 

Absturz eines viermotorigen britischen Bombers


Ort:                   Erdhausen, Am nördlichen Rand des Dorfes

Datum:             06. Dezember 1944

Uhrzeit:            ca. 20.30 Uhr

Flugzeugtyp:    Avro Lancaster B.I

Werknummer: PD264

Hersteller:        Metropolitan-Vickers Ltd., Trafford Park, Manch., Mosley Rd. Works

 Motoren:          4 wassergekühlte 12 Zylinder Rolls-Royce Merlin XXIV

Einheit:             No. 57. Squadron, No. 5 Group

Kennung:          D X (Kokarde) K

Heimatflughafen: East Kirkby in Lincolnshire

Startzeit:           16.30 Uhr

Angriffsziel:      Gießen - Innenstadt

Absturzursache:Nachtjägerbeschuß

Besatzung:
Pilot:                      F/O William Riddell (RAF)                 Gefallen

Bordmechaniker:   Sgt. John Scott (RAF)                          Ermordet

Navigator:              F/S Peter Douglas Mann (RAF)           Gefallen

Bombenschütze:     F/S Neil F. D. McGladrigan (RAAF)   Ermordet

Bordfunker:            F/S Frank A. Black (RAAF)                Gefallen

Mittelturmschütze: Sgt. Robert Shaw McKillop (RAF)     Gefallen

Heckschütze:          Sgt. J. Forward (RAF)                         Gefangenschaft


 

Niederweimar, Mittwoch, 6. Dezember 1944
 

Außer der schwer getroffenen Zivilbevölkerung und den Angreifern des Bomber Command, hatten aber auch die der Stadt Gießen zur Hilfe eilenden Nachtjagdeinheiten der NJG 4, 6 und 11 einen, wenn auch vergleichbar geringen, Blutzoll zu entrichten. Im Luftkampf über Gießen fiel der Bordmechaniker einer Junkers Ju 88 G-1 des Gruppenstabs der I. Gruppe des Nachtjagdgeschwaders 4, Gefr. Alfred Gräfer, den Geschossen der Abwehrschützen einer Lancaster zum Opfer. Unweit der Saalburg bei Bad Homburg stürzte eine Ju 88 G-1 der 2. Staffel des Nachtjagdgeschwaders 6 ab. Drei der vier Besatzungsmitglieder starben, nur der Bordfunker konnte verwundet mit dem Fallschirm abspringen und überlebte diesen Einsatz. Bei Gelnhausen stürzte eine Messerschmitt Bf 110 G-4 der 12./NJG 6 ab. Alle drei Besatzungsmitglieder starben in den Trümmern, und über Gießen wurde der Flugzeugführer Feldwebel Günther Laas in seinem einmotorigen Nachtjäger vom Typ Messerschmitt Bf 109 G-6 im Luftkampf mit den britischen Bombern verwundet. Er sprang mit dem Fallschirm ab und konnte am folgenden Tag zu seiner Einheit zurückkehren. 

Es war etwa 19.40 Uhr, als an der Verbindung von Niederweimar zur Frankfurter Straße, in Richtung des heutigen Kieswerkes, ein deutscher Nachtjäger abstürzte. Es ist davon auszugehen, daß die Maschine bei einem Angriff auf die britischen Bomber vom Abwehrfeuer derselben getroffen wurde.

Die Besatzung der in Kitzingen gestarteten Messerschmitt Bf 110 G-4 verließ ihre schwer angeschlagene Maschine mit dem Fallschirm. Der Flugzeugführer Unteroffizier Karl Möller, geboren am 04.05.1922 in Frankfurt/Main, hatte einen Kniedurchschuß erhalten und durch die Flammen im brennenden Flugzeug leichte Brandwunden im Gesicht und an den Händen. Er landete am Fallschirm unweit von Ronhausen. Der Gefreite Willi Brüseke, geboren am 24.12.1925 in Bochum, der Bordmechaniker des Nachtjägers, landete am Schirm, mit leichten Brandverletzungen, in Beltershausen.

(Bordmechaniker Gefr. Willi Brüseke vor einem Nachtjäger vom Typ Messerschmitt Bf 110 G-4, vermutlich im Spätherbst 1944.) (Foto: Hans Schneider)
 

Beide wurden in die Chirurgische Klinik nach Marburg gebracht. Kein Glück dagegen hatte Unteroffizier Theodor Neudeck, geboren am 19.04.1924 in Weißenthurm, zuletzt wohnhaft in Miesenheim bei Andernach. Sein Fallschirm öffnete sich nicht mehr, und er wurde, nur etwa 25 Meter vom Flugzeugwrack entfernt, tot aufgefunden.

(Flugzeugführer Uffz. Karl Möller (links) und Bordfunker Theo Neudeck (rechts), im Herbst 1944 am Rande eines Fliegerhorstes.) (Foto: Reinhold Neudeck)

Der ganze Sachverhalt wurde von Herrn Hans Schneider aus Niederweimar sehr genau aufgeklärt. Ihm gelang es auch, Verbindungen mit der Familie des Gefallenen und dem verwundeten Bordmechanikers aufzunehmen. Nur vom Flugzeugführer, Karl Möller, verliert sich seitdem die Spur. Nach noch nicht bestätigten Informationen wurde er bei einem späteren Einsatz tödlich abgeschossen. Eine offizielle Verlustmeldung liegt der Deutschen Dienststelle (ehem. WASt.) in Berlin aber nicht vor. Die letzte Nachricht an seine Eltern stammt vom 25.03.1945. In dieser teilte er mit, daß er zur Bildstelle des Luftgaukommandos 3 in Quedlinburg versetzt worden sei. Geflogen hatte er bis dahin nicht mehr, da sein Bein aufgrund der Verwundung noch steif war.

Die Nachtjagdmaschine mit der Werknummer 480 178 und der Kennung „2 Z + K W” hat sich beim Aufschlag tief in den aufgeweichten Ackerboden jenseits der Main-Weser-Bahn gebohrt und ist darin vollständig ausgebrannt.

Der für Niederweimar zuständige Hauptmeister der Gendarmerie Freiberg meldete am folgenden Tag an den Landrat, daß der tote Bordfunker, der nur 25 Meter neben der Aufschlagstelle lag, zwar die Fallschirmgurte fest am Körper hatte, der Fallschirm aber nicht eingeklinkt und sogar überhaupt nicht vorhanden war. Er konnte keine Aussage zum Verbleib des Fallschirms machen. Auch hatte er einige sichtbare, schwere Brandverletzungen und Brüche am Körper des Toten festgestellt und die persönliche Ausrüstung von Theodor Neudeck sichergestellt.

(Theodor Neudeck als Obergefreiter, Frühjahr 1944.) (Foto: Reinhold Neudeck)

Vom überlebenden Bordmechaniker bekam ich im Jahr 1995 keine Antworten auf meine Fragen bezüglich des Absturzes und der Vorgänge, die diesem unmittelbar voraus gingen.

Es ist also anzunehmen, so konnte ich es einem Zeitungsbericht in einer Gießener Zeitung vom 6. Dezember 1994 entnehmen, daß zunächst der Bordmechaniker die Maschine verließ. Unmittelbar danach muß der Flugzeugführer abgesprungen sein. Beide hatten schon Brandverletzungen erlitten. Ob der Bordfunker den Absprung nicht mehr machte, da sein Fallschirm entweder verbrannt oder für ihn nicht erreichbar war, oder ob er ohne Bewußtsein war, läßt sich nicht mehr sagen. Da der Leichnam aber nur unweit der Absturzstelle lag, ist davon auszugehen, daß er beim Aufschlag aus der Maschine geschleudert wurde und die Messerschmitt aus einem der genannten Gründe nicht mehr verlassen konnte. Noch in der Nacht wurde er auf einer Trage zum Schreinermeister Johann Grebe gebracht, wo er eingesargt wurde.

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und einer Ehrenkompanie der Wehrmacht wurde der junge Flieger am 11. Dezember 1944, morgens um 9.00 Uhr auf dem Friedhof in Niederweimar beigesetzt. Sein Grab wird bis heute liebevoll gepflegt. Es ist das einzige, nichteinheimische Soldatengrab auf dem Friedhof .




(Die Beisetzung des gefallenen Bordfunkers am 11.12.1944 auf dem Friedhof in Niederweimar.) (Fotos: Hans Schneider)



(Das Grab von Theodor Neudeck im Sommer 1994.) (Foto: Dirk Sohl)

 

Über Hans Schneider aus Niederweimar konnten wir im Winter 1994/95 Reinhold Neudeck, den Bruder des Gefallenen, in Andernach ausfindig machen. Dieser war sehr nett und schickte uns auch Fotos seines Bruders und Kopien persönlicher Unterlagen, die wir für die Chronik verwenden durften.

Die Segelfliegerei war für Theo Neudeck schon in der Jugendzeit sein großes Hobby. In der Segelflugschule „Hummerich” bei Plaidt hatte er die ersten Grundlagen der Fliegerei erlernt. Die Prüfung zum Funker hatte er schon vor seiner Einberufung zum Militär erfolgreich absolviert, so daß er mit diesem Dokument in der Tasche als Freiwilliger zur Luftwaffe gehen konnte. 

Die Familien Neudeck und Möller standen noch einige Jahre nach dem Krieg in Kontakt, hatten sie doch beinahe das gleiche Schicksal erlitten.

Im November 2007 führte eine andere private Initiative mit dem THW und dem Kampfmittelräumdienst eine Bergung durch. Es sollen neben vielen Kleinteilen auch noch einer der beiden Motoren und große Teile der Waffenanlage, nebst einer 3cm- Maschinenkanone des Typs MK 108 gefunden worden sein. 
 

Absturz eines zweimotorigen deutschen Nachtjägers
 

Ort:      Niederweimar, An der Verbindung von Niederweimar zur Frankfurter Straße

Datum:      6. Dezember 1944

Uhrzeit:      ca. 19.40 Uhr

Flugzeugtyp:      Messerschmitt Bf 110 G-4

Werknummer:      480 178

Kennung:      2 Z + K W

Motoren:      2 flüssigkeitsgekühlte Zwölfzylinder hängende V-Motoren Daimler Benz DB 605

Einheit:      12.Staffel/ Nachtjagdgeschwader 6

Startflughafen:      Kitzingen

Besatzung:
Flugzeugführer: Uffz. Karl Möller Verwundet
* 04.05.1922 in Frankfurt am Main

Bordfunker: Uffz. Theodor Neudeck Gefallen * 19.04.1924 in Weißenthurm

Bordmechaniker: Gefr. Willi Brüseke Verwundet * 24.12.1925 in Bochum

 Absturzursache:      Luftkampf mit Avro Lancaster

 


 
 
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