Erfurtshausen, Samstag, 12. August 1944
Ein hochdekorierter deutscher Jagdflieger sprang mit schweren Brandwunden aus seiner abstürzenden Maschine ab und landete am Fallschirm zwischen Niederofleiden und Erfurtshausen, während seine Maschine vom Typ Messerschmitt Bf 109 G-5 mit der Werknummer 110 244 im Feld südlich Erfurtshausens aufschlug und komplett zerstört wurde.
Eine Meldung an das Luftgaukommando in Münster in Westfalen berichtete dagegen von einem „Fokke-Wulf-Jäger”, welcher am 12.8.1944 etwa 19.00 Uhr in der Gemarkung Erfurtshausen abstürzte, welches aber nicht den Tatsachen entsprach, da die Maschine eindeutig als Messerschmitt Bf 109 identifiziert werden konnte.
Der deutsche Flugzeugführer „Hauptmann Kuttinsky, Kommodore II./JG 11” rettete sich durch Fallschirmabsprung und kam mit Brandwunden in die chirurgische Klinik nach Marburg/Lahn. Gestartet war er in Wunstorf westlich von Hannover.
Es war nicht schwer, mit diesen Informationen den Sachverhalt zu klären.
Der damalige Gruppenkommandeur der II. Gruppe des Jagdgeschwader 11 (II./JG 11) war Hptm. Walter Krupinski, geboren am 11. November 1920 in Domnau/Ostpreußen.
Er gehörte zur Elite der deutschen Jagdflieger und hatte bis zum Kriegsende 197 Luftsiege errungen. Im September 1941 wurde ihm nach seinem ersten Abschuß das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen. Nach seinem 7. Luftsieg im Dezember erhielt er das Eiserne Kreuz 1. Klasse.
Im Jahre 1942 wurde ihm der Ehrenpokal der Luftwaffe und das Deutsche Kreuz in Gold verliehen. Seit dem 29. Oktober 1942 trug er das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, und am 02. März 1944 wurde ihm nach seinem 177. Luftsieg das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen.
Auch war er Träger weiterer Auszeichnungen wie der Medaille „Winterschlacht im Osten”, des „Krimschildes”, des „Kubanschildes”, des Verwundetenabzeichens in Gold und der Frontflugspange für Jagdflieger mit der Einsatzzahl 1100. Er wurde mehrfach verwundet und überlebte den Krieg. Seine letzten Einsätze flog er noch im Mai 1945 beim berühmten Jagdverband 44 mit dem ersten Düsenjäger, der Me 262.
Am 7. Oktober 2000 schloß dieser berühmte Jagdflieger nach langer Krankheit für immer die Augen.
Noch im Januar 1996 konnte ich wir mit ihm korrespondieren, und er schickte uns seine Geschichte zu dem Fallschirmabsprung bei Erfurtshausen zu, welche wir hier fast ungekürzt wiedergeben möchten.
„Ich war damals Kommandeur der II./JG 11, hatte über 1000 Feindflüge hinter mich gebracht, mit drei Fallschirmabsprüngen (zwei in Rußland, einem über Magdeburg), war sieben mal verwundet (davon drei mal so leicht, daß keine Eintragung in die G-Akte erfolgt ist) und hatte zu diesem Zeitpunkt 191 oder 192 Abschüsse.
Die genaue Zahl kann ich deshalb nicht angeben, weil mir ein amerikanischer GI bei der Einlieferung ins Gefangenenlager am 5. Mai 1945 mein Flugbuch „geklaut” hat und dieses bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Am 6. Juli 1944 wurde ich mit dem Rest meiner Gruppe nach einem Monat an der Invasionsfront nach Wunstorf bei Hannover verlegt, und wir wurden - wie es so schön hieß -„aufgefrischt”- und auf 75 Flugzeuge (Me 109) vergrößert.
Bis zu diesem Zeitpunkt bestand eine Gruppe aus 40 Flugzeugen und Flugzeugführern. Bis auf sechs oder acht etwas erfahrenere FF alles ganz junge Flugzeugführer, mit sehr wenigen Flugstunden.
Heute muß ich sagen, was für ein Verbrechen. Wir hatten natürlich in der „Auffrischung” eine ganze Reihe von Unfällen, darunter zwei mit brennenden Maschinen, was aber nicht besonders beachtet wurde, weil jeder dachte, es handele sich um Kolbenfresser der Triebwerke.
Am 12. August wurde die Gruppe mit einem „Blitzbefehl” nach Frankreich befohlen, denn an der Invasionsfront war der amerikanische Durchbruch bei Avranches erfolgt; übrigens der Anfang vom Ende der deutschen Front im Kampfgebiet.
Ich flog, nachdem ich alle Flugzeuge auf den Weg gebracht hatte, mit dem Stabsschwarm als letzter von Wunstorf zum Zwischenlandeplatz Wiesbaden. In der Gegend von Marburg explodierte mein Flugzeug und eine Stichflamme schlug mir bis ins Gesicht. An den Händen war die Flamme am stärksten, denn ich hatte gerade die Handschuhe ausgezogen, weil ich eine Fliegerkarte suchte, die mir neben den Sitz gerutscht war. Da ich schon drei Absprünge hinter mir hatte, waren meine notwendigen Aktionen (Kabine abwerfen, losschnallen) blitzschnell, und das letzte, was ich im Funksprech hörte, war die Stimme meines Rottenfliegers, der ins FT „brüllte”: „Der Kommandeur brennt!”.
Alles weitere war dann bei meiner Erfahrung Routine. Fallschirmgriff ziehen, Schirm auspendeln, auf die Landung am Schirm konzentrieren. An eines erinnere ich mich noch sehr genau am Schirm. Die Haut hatte sich an den Fingerspitzen wie zu Fingerhütchen aufgerollt, und ich zog mir diese „Fingerhütchen” trotz großer Schmerzen von den Fingern ab.
(Anm.: Die Haut zog sich an den Fingerspitzen, aufgrund der starken Hitze, die die Flammen des bis in die Kabinen schlagenden brennenden Öls verursachten, zusammen.)
Nach der Landung ging oder lief ich zu dem nicht weit entfernten Bauernhof, und eine noch recht jung aussehende Bäuerin gab mir einen Schnaps zu trinken. Aber in meiner Erinnerung habe ich ihr dann die halbe Flasche ausgetrunken.
Lebt sie noch? Ich würde gern mit ihr in Verbindung treten, um zu hören, wie sie den saufwütigen Hauptmann in Erinnerung hat.
Der Sanka (Sanitätsfahrzeug) kam dann recht schnell, und eine halbe Stunde später lag ich auf dem Operationstisch in Marburg, und Professor Zugschwert, dem ich schon zweimal in Rußland begegnet war, bürstete mit einer Wurzelbürste die restlichen Hautfetzen von den Händen und Gesicht. Er meinte, das wäre gut und würde kaum Narben hinterlassen. Anschließend erhielt ich auf die wunden Stellen alle Stunde eine Sprühung, die „Tannin” oder so ähnlich hieß.
Nach einigen Wochen besuchte mich ein Hauptmann von der Firma „Verdachtschöpfer” und erzählte mir, daß durch meine gute Schilderung des ganzen Ablaufes und dem genauen Zeitpunkt der Explosion nach dem Start erwiesen sei, daß es sich um Sabotage handelt. Durch einen kleinen Explosionszylinder, der in den Fahrwerkschacht gehängt wird, erfolgt nach dem Einfahren des Fahrwerks nach genau 15 Minuten die Explosion. Säure spielt dabei eine Rolle. Dadurch wurden auch die anderen Explosionen erklärbar. Die Flugzeuge waren damals wegen der Bombenangriffe bis zu 3 km vom Platz ausgelagert.”
Soweit Walter Krupinski zu diesem Absturz.
Der Verdacht eines Sabotageaktes an der Maschine hat sich später als richtig herausgestellt.
(Walter Krupinski - Träger des Eichenlaubes zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes.) (Foto: Walter Krupinski)
In den Jahren bis 1976 diente er der Bundesrepublik Deutschland als Soldat und wurde am 8. November 1976 als Generalleutnant in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Nachdem ich diese Informationen von Herrn Krupinski erhalten hatte, machten wir uns auf die Suche nach der Bäuerin mit der Schnapsflasche.
Nach einigen Tagen, die wir mit Recherchen in Erfurtshausen und Niederofleiden verbrachte, wurden uns von Herrn Hochgrebe in Niederofleiden die Namen Klein und Bolz genannt.
Herr Klein, der ehemalige Bauunternehmer, war zu dieser Zeit noch gut mit Getränken dieser Art bestückt und hatte auch ein Automobil, mit dem er den Verwundeten nach Marburg fuhr.
Frau Elisabeth Klein, die Ehefrau des Bauunternehmers Klein, war die „Bäuerin”, die Walter Krupinski mit Schnaps versorgt hatte.
Ihre Tochter, Frau Annelore Bolz, konnte sich noch 1996 gut daran erinnern und sagte aus, daß sie den verletzten Fliegerhauptmann im Krankenhaus in Marburg besucht hatte, um ihm die in Niederofleiden stehen gebliebenen Fliegerstiefel zurückzubringen.
So war dieser Fall recht einfach und schnell aufgeklärt.
Absturz eines einmotorigen deutschen Jagdflugzeugs
Ort: Erfurtshausen, 500 Meter südöstlich von Erfurtshausen
Datum: 12. August 1944
Uhrzeit: ca. 19.00 Uhr
Flugzeugtyp: Messerschmitt Bf 109 G-5
Werknummer: 110 244
Kennung:
Motor: 1 flüssigkeitsgekühlter Zwölfzylinder hängender V-Motor Daimler Benz DB 605
Einheit: Gruppenstab II. Gruppe/ Jagdgeschwader 11
Startflughafen: Wunstorf
Flugzeugführer: Hptm. Walter Krupinski
Erkennungsmarke:
Geburtsdatum: 11. November 1920
Geburtsort: Domnau / Ostpreußen
Verbleib: Verwundet - Fallschirmabsprung
Absturzursache: Explosion durch Sabotage