Nesselbrunn, Sonntag, 25. März 1945
Nur drei Tage, bevor die westlichen Alliierten in Gestalt der amerikanischen G.I. den Landkreis Marburg/Biedenkopf betreten konnten, kam es noch zum Absturz eines amerikanischen Jagdflugzeugs unweit des Friedhofes bei Nesselbrunn.
Die von den Deutschen unter anderem auch als „Gabelschwanzteufel” und „Doppelrumpfmonster” bezeichneten zweimotorigen Lockheed P-38 „Lightning” flogen an diesem Tag wieder ihre gefürchteten Tiefangriffe, welchen schon unzählige unschuldige Menschen zum Opfer gefallen waren.
An diesem Tag waren hauptsächlich deutsche Fahrzeugkolonnen die Ziele der Amerikaner in ihren P-38. Die deutsche Westfront hatte sich schon aufgelöst. Die Alliierten hatten bereits am 7. März 1945 den Rhein bei Remagen über die letzte noch intakte Rheinbrücke überquert und konnten, da den Deutschen die Sprengung der Ludendorffbrücke nicht gelang, innerhalb kürzester Zeit einen Brückenkopf am ostwärtigen Ufer errichten. Am 23.März betraten die westlichen Alliierten auch bei Oppenheim trockenen Fußes das Ostufer des Rheins. Über mehrere Pontonbrücken gelangen ununterbrochen die Truppen nach Osten in das Rhein-Main-Gebiet vor. Am 25.03.45 wurde Darmstadt kampflos an die Amerikaner übergeben.
Diese Rheinüberquerung war so überraschend für die Wehrmacht, daß sich immer mehr Einheiten auflösten und in alle Richtungen versprengt wurden. Man versuchte von der amerikanischen Feuerwalze, vom Boden und aus der Luft, nach Osten zu entkommen. Tagsüber war dies fast unmöglich, da ständig amerikanischen und auch britische Flugzeuge am Himmel erschienen und auf alles, was sich am Boden bewegte, schossen.
Herbert Kosog (+) berichtete:
„Allein an diesem Tage wurden 13 Angriffe auf die Eisenbahnlinien und Straßen durchgeführt. Ein schwer beschädigter Lastkraftwagen blieb infolge Bordwaffenbeschusses auf der Straße Niederwalgern-Damm liegen. Wie Hornissen summten fast ununterbrochen feindliche Flugzeuge durch den heimischen Luftraum, der völlig von ihnen beherrscht wurde, und das bereits seit geraumer Zeit. Um 12.15 Uhr erfolgte ein Angriff auf den Bahnhof Niederwalgern. 3 Bomben fielen in das Bahnhofsviertel. Durch sie und Bordwaffenbeschuß entstanden Schäden im Sägewerk Gross und an drei weiteren Wohngebäuden.
Gegen 18.30 Uhr stürzte beim Friedhof Nesselbrunn ein amerikanisches Flugzeug ab und wurde total zerstört. Ein Besatzungsmitglied war gefallen, ein zweites schwer verwundet worden..”
Diese Informationen stammen sicherlich zum Teil aus den Unterlagen des Hessischen Staatsarchivs in Marburg. Dort fand sich nur noch eine, wegen der sich immer mehr nähernden Front, kurze Meldung zu diesem Absturz.
„Aus Nesselbrunn wird gemeldet, daß angeblich ein amerikanisches Flugzeug abgestürzt ist und zwar in der Nähe des Friedhofes. Ein Besatzungsmitglied soll tot sein und ein weiteres schwer verwundet.
Ich begebe mich an den Unfallort.
Volkssturm soll die Absperrung durchführen.
Weitere Meldung folgt.”
Handschriftlicher Nachtrag:
„25.3.45 - 18.15 Uhr”
Dadurch, daß wir von Herrn Horst Münter aus Dortmund eine Kopie des amerikanischen Missing Air Crew Report erhielten, konnten wir unsere Recherchen in die richtige Richtung bringen. Verunsichert hatte uns hauptsächlich die Tatsache, daß bisher von zwei Besatzungsmitgliedern berichtet wurde.
Der amerikanische MACR Nr. 14377 vom 27.03.1945 beinhaltet den Verlust eines zweimotorigen Jagdflugzeugs vom Typ Lockheed P-38 J-20 „Lightning”, der 429. Fighter Squadron in der 474. Fighter Group am 25.03.1945 gegen 18.00 Uhr.
Pilot 2ndLt. Paul M. Daily startete an diesem Tag mit weiteren Maschinen dieser Einheit vom Feldflugplatz Straßfeld, nordöstlich Euskirchen, in den Raum Marburg-Gießen zu mehreren Jagdbomber- und Tieffliegerangriffen auf rückflutende deutsche Kolonnen. Über Marburg wurde die „Lightning” von Lt. Daily plötzlich von der auf dem Tannenberg stationierten leichten 2 cm Flak beschossen und schwer getroffen. Lt. Daily versuchte sofort eine Notlandung und schlitterte in der bereits brennenden Maschine bergab in Richtung Friedhof Nesselbrunn.
(2ndLt. Paul M.Daily) (Foto via Horst Jeckel)
Als die Maschine zum Stillstand kam, sprang er heraus und versuchte seine nun auch schon brennende Fliegerkombination zu löschen. Dieser Versuch war aber recht erfolglos.
Sein Staffelkamerad 1stLt. William M. Doyle, der sich in der Luft neben Lt. Daily befand, gab im o.a. MACR eine recht genaue Stellungnahme zu den Vorfällen ab. Als Ortsangabe nennt er zwar Wetter, aber dies war für ihn in dem ganzen Trubel dieses Tages sicherlich nicht genauer zu leisten.
(Abschrift der MACR zum Verlust von Lt. Daily am 25.03.45.) (Original. National Records Center, Washington, USA)
Er schrieb: (Übersetzung):
„Ich flog in der Nummer 4 Position, als ich einen Lastwagen hart westlich von Marburg/Lahn entdeckte. Dies meldete ich sofort dem Schwarmführer und ließ den Schwarm auf den Lastwagen herunter stoßen.
Nachdem wir wieder hochgezogen hatten, bemerkte ich, daß dort eine Menge 2cm. Flak waren, die das Feuer auf die Nr. 3 und die Nr. 4 unseres Schwarmes eröffnet hatten.
Lt. Daily war in Nr. 4-Position und meldete, daß er einen Treffer erhalten habe.
Ich entdeckte ihn schließlich 30 Sekunden später in einer Geraden, bei den Vorbereitungen zu einer Bauchlandung, mit einem Feuerschweif aus seinem rechten Motor. Er kam an der Spitze einer Böschung auf, beide Fahrwerke brachen weg, schlitterte auf den Kühlern bergab, bis er schließlich an allen Ecken und Enden brennend zum Stillstand kam.
Lt. Daily stieg aus dem Cockpit, rannte über die rechte Tragfläche und taumelte bis ca. 50 Yards von seiner Maschine entfernt. In diesem Moment konnte ich feststellen, daß seine Kleidung Feuer gefangen hatte. Es sah so aus, als wäre es ihm nicht möglich gewesen, selbiges zu löschen.
Er warf sich danach mehrmals auf den Rücken und rollte sich im Gras, um das Feuer zu ersticken. Nach ungefähr drei Minuten war das Feuer gelöscht, und ich machte einen erneuten Überflug. Dabei sah ich ihn auf dem Rücken liegend. Seine gesamte Bekleidung, mit Ausnahme des linken Hosenbeins und des rechten Ärmels war verbrannt und er selbst bewegte sich nicht mehr.”
Nach bisher nicht bestätigten Berichten wurde der schwer verwundete Amerikaner am gleichen Tag noch in das Spritzenhaus in Nesselbrunn gebracht. Dort soll er die Nacht ohne ärztliche Versorgung verbracht haben und entweder noch in der Nacht oder am nächsten Tag beim Transport mit einem Viehwagen nach Marburg seinen schweren Verwundungen erlegen sein. Da der Leichnam zunächst in Nesselbrunn beigesetzt wurde, ist davon auszugehen, daß er noch im Spritzenhaus verstarb.
(Das Grab von 2ndLt. Daily auf dem amerikanischen Militärfriedhof in Margraten, Niederlande.) (Foto: Dirk Sohl)
Eine amerikanische Gräberkommission führte nach einigen Wochen die Exhumierung durch und überführte den Gefallenen nach Eisenach, wo er am 3. Mai 1945 beigesetzt wurde.
Im Jahr 1949 wurde er erneut umgebettet und fand seine letzte Ruhestätte am 13. Juli 1949 auf dem amerikanischen Militärfriedhof bei Margraten in den Niederlande, Feld M, Reihe 17, Grab 11.
Absturz eines zweimotorigen amerikanischen Jagdflugzeugs
Ort: Nesselbrunn, Oberhalb des Friedhofs
Datum: 25. März 1945
Uhrzeit: ca. 18.00 bis 18.15 Uhr
Flugzeugtyp: Lockheed P-38 J-20 „Lightning”
Werknummer: 44-23 522
Hersteller: Endmontage in Burbank, USA
Kennung: 7 Y -
Motoren: 2 Zwölfzylinder flüßigkeitsgekühlte Allison V-1710-Motoren
Einheit: 429. Fighter Squadron in der 474. Fighter Group
Startflughafen: Straßfeld
Pilot: 2ndLt. Paul M. Daily
Erkennungsmarke: O-778073
Geburtsdatum: 9. April 1924
Geburtsort: Monroe, Louisiana (USA)
Verbleib: Gefallen
Grablage: Amerikanischer Militärfriedhof Margraten, Niederlande
Absturzursache: Flaktreffer durch leichte Flak - versuchte Notlandung