Wehrda, Freitag, 12. Mai 1944
Am 5. Mai 1944 begann die in Italien stationierte 15. US-Luftflotte mit ihren Angriffen gegen
die Ölzentren bei Ploesti in Rumänien. Eine Woche später eröffnete auch die in England
stationierte 8. US-Luftflotte mit schwersten Angriffen ihre Offensive gegen die deutsche
Treibstoffindustrie, die „Oil Offensive”.
Am 12. Mai starteten die drei Bomberdivisionen der in Südostengland stationierten
8. US-Luftflotte mit insgesamt 886 viermotorigen Kampfflugzeugen zu den hauptsächlich
in Mitteldeutschland gelegenen Zentren dieses für die deutsche Rüstung so lebenswichtigen
Industriezweigs.
Die Hauptziele lagen an diesem Tag bei Merseburg, Lützkendorf, Böhlen, Zeitz, Zwickau
und Brüx.
Da das Deutsche Reich nicht über nennenswerte Erdölvorkommen verfügte, war man auf
den Import ausländischen Rohöls und die synthetische Erzeugung von Treibstoffen
angewiesen.
Weil aber im Frühjahr 1944 nur noch das verbündete Rumänien Öl lieferte, mußte der Bedarf
an Treibstoff durch die Hydrierwerke gedeckt werden.
Eine Lahmlegung dieser Industrie hätte sicherlich für ein schnelleres Kriegsende sorgen
können. Zumindest aber mußte nach den schweren Angriffen immer mehr Treibstoff
eingespart werden, welches u.a. die Ausbildung der Flugschüler verkürzte und damit auch
verschlechterte.
Begleitet wurden die amerikanischen Kampfflugzeuge der Typen B-24 „Liberator” und
B-17 „Flying Fortress” an diesem Tag von 980 Jagdflugzeugen.
Schon nördlich des Rhein-Main-Gebietes kam es zu ausgedehnten Luftkämpfen zwischen
den anfliegenden Amerikanern und den deutschen Jagdfliegern, die an diesem Tag in
großer Anzahl an den Gegner herangeführt wurden.
Nicht weniger als 16 Tagjagd- und 2 Zerstörergruppen wurden von deutscher Seite in den
Kampf geworfen. Insgesamt 470 Maschinen wurden aufgeboten, um den amerikanischen
Großangriff zu verhindern oder zumindest zu stören.
Dies aber gelang der deutschen Luftverteidigung am 12. Mai 1944 kaum.
Die Angriffe auf die Treibstoffindustrie wurden von den Amerikanern trotz der deutschen
Jagdabwehr mit großem Erfolg durchgeführt.
Doch es soll auch nicht verschwiegen werden, daß die 8. US-Luftflotte 46 viermotorige Bomber
und 12 Jagdflugzeuge verlor.
Die deutschen Verbände hatten 28 gefallene und 24 verwundete Flugzeugführer zu beklagen.
Allein über dem hessischen Raum gingen mehr als zwanzig amerikanische und mindestens
dreißig deutsche Maschinen zu Boden.
Einige Bewohner des Landkreiseses Marburg/Biedenkopf waren zeitweise Zuschauer der
Luftkämpfe, die sich bei besten Wetter auch im Raum Gießen abspielten.
Auch mußte eine Maschine auf den Afföller-Wiesen in der Gemarkung Wehrda notlanden.
Es war ziemlich genau 12.30 Uhr, als der am 14.09.1923 in Naltes geborene Flugzeugführer
Friedrich-Wilhelm Brandt seine Focke Wulf Fw 190 dort landete.
Er war nicht in die schweren Luftkämpfe verwickelt, sondern hatte schon, bevor es zum
Feindkontakt kam, eine Motorstörung, die ihn zur Landung zwang.
Der zuständige Meister der Gendarmerie erwähnte in seiner Meldung auch, daß der Flugzeugführer
der Fw 190 zum Jagdgeschwader 1 gehörte, vom Heimatflughafen Lippspringe gestartet sei,
die Maschine einen BMW-Motor hatte und als Kennung eine „Weiße 4” trug.
Außerdem soll es einen Beschädigungsgrad von 30% am Flugzeug gegeben haben.
(Eine Fw 190 des Jagdgeschwaders 1 beim Kopfstand.Flugzeugführer war Helmut Riehl,
Eibelshausen.)(Foto: Helmut Riehl)
Die mit einem luftgekühlten Vierzehnzylinder-Doppelsternmotor mit Lader ausgerüsteten
Focke Wulf Fw 190 waren neben der Messerschmitt Bf 109 die Standardtagjäger der
deutschen Luftwaffe und hatten schon bei ihren ersten Einsätzen im September 1941
den britischen Fliegern das Fürchten gelehrt.
In vielen verschiedenen Baureihen wurde dieser Typ auch als Aufklärer, Jagdbomber und
Schlachtflugzeug hergestellt.
Die I. und die II. Gruppe des Jagdgeschwader 1 war am 12.05.1944 mit der Fw 190
ausgestattet, während die III. Gruppe ihre Einsätze mit der Bf 109 flog.
Im Geschwaderstab dagegen flogen beide Flugzeugtypen.
Nur der Geschwaderstab und die I. Gruppe lagen in Lippspringe, während die beiden anderen
Einheiten dieses Geschwaders in Störmede und Paderborn stationiert waren.
Da der Geschwaderstab im ganzen Mai 1944 keine Fw 190 als Verlust zu beklagen hatte,
konnte der Flugzeugführer Friedrich Brandt nur der I. Gruppe angehören.
Diese Gruppe hatte im Raum Gießen u.a. zwei Flugzeugführer in Luftkämpfen verloren.
Insgesamt meldete der Kommandeur der I. Gruppe, Hptm. Hans Ehlers, an diesem Tag
4 Maschinen als Verlustgrad 100% und 5 beschädigte Maschinen, wozu dann auch die bei
Wehrda gelandete Maschine gehörte. Da die Maschine als Kennung eine „Weiße 4” trug,
ist es sicher anzunehmen, daß Flugzeugführer und Maschine zur 1. Staffel gehörten.
Bei meinen weiteren Nachforschungen mußte ich auch hier feststellen, daß der Flugzeugführer
diesen Tag nicht lange überleben sollte.
Seit dem 17.06.1944, nicht einmal fünf Wochen später, galt der Oberfähnrich Friedrich
Wilhelm Brandt von der 1./JG 1 „Oesau” mit seiner an diesem Tag geflogenen Fw 190 A-8,
Werknummer: 730 389 und der Kennung: „Weiße 5”, nach einem Feindflug im Raum
Argentan-Flers in der Normandie, als vermißt.
Bis zu seinem Ausbleiben errang er zwei Luftsiege.
Am 19. Mai 1944 gelang ihm sein erster Erfolg. Er erzielte einen Herausschuß einer
B-24 „Liberator” aus einem Bomberpulk im Raum Quakenbrück, und noch am 16. Juni 1944
schoß er im Raum Flers, über der Küste der Normandie, eine britische Spitfire ab.
Nur einen Tag später aber endete auch sein Leben irgendwo über dem Landekopf der
Alliierten in der Normandie.
Ob er und seine Maschine noch gefunden und geborgen werden können, um auch seinen
Angehörigen noch Gewißheit zu verschaffen?
(Das Foto aus der Vermißtenbildliste des Deutschen Roten Kreuz.)
Notlandung eines einmotorigen deutschen Jagdflugzeugs
Ort: Wehrda, In den Afföllerwiesen
Datum: 12. Mai 1944
Uhrzeit: ca. 12.30 Uhr
Flugzeugtyp: Focke Wulf Fw 190 A-
Werknummer:
Kennung: „Weiße 4”
Motor: 1 luftgekühlter Vierzehnylinder-Doppelsternmotor BMW 801
Einheit: 1. Staffel/ Jagdgeschwader 1 „Oesau”
Startflughafen: Lippspringe bei Paderborn
Flugzeugführer: Ofhr. Friedrich-Wilhelm Brandt
Erkennungsmarke:
Geburtsdatum: 14. September 1923
Geburtsort: Naltes
Verbleib: Unverletzt bei Notlandung
Ursache d. Notldg.: Motorstörung
Appenrod, Freitag 12.05.1944
Am frühen Mittag gegen 12.30 Uhr ereignete sich im Luftraum über Appenrod ein erbitterter
Luftkampf zwischen drei P-51 "Mustang" und einer Messerschmitt Bf 109 G-6/R6 vom
Jagdgeschwader 27.
Hier unterlag Fw. Alfred Stückler von der 8. Staffel der III. Gruppe des JG 27 mit seiner
"Roten 3" den überschweren Maschinengewehren der drei Mustangs von der 335.
Fighter Squadron in der 4. Fighter Group der USAAF.
Fw. Stückler sprang noch kurz vor dem Aufschlag seiner Maschine aus der Kabine und
überlebte den Absturz mit schweren Brandverletzungen. Er wurde unverzüglich geborgen
und ins Reserve Lazarett nach Gießen verbracht.
Wir konnten mit einigen Zeitzeugen den Absturz und den Hergang genau verifizieren.
Fw. Stückler ist nach seinen schweren Verwundungen nicht mehr als Jagdflieger geflogen
und ist nach schwerer Krankheit im Jahr 1996 in Wien gestorben.
(Fw. Alfred Stückler mit Schild auf dem Propellerspinner sitzend,
vermutlich Kalamaki 1943), (Foto: Ulrich Dörr).
Absturz eines einmotorigen deutschen Jagdflugzeugs
Ort:: Appenrod
Datum: 12.05.1944
Uhrzeit: ca. 12.30h
Flugzeugtyp: Messerschmitt Bf 109 G-6/R6
Kennung : " Rote 3"
Werknummer: 440 697
Motor: Daimler Benz DB 605
Einheit: : 8.Staffel / III./ Jagdgeschwader 27
Startflughafen: Wien - Götzendorf
Flugzeugführer: Feldwebel Alfred Stückler
Geburtsdatum:
Geburtsort:
Absturzursache: Luftkampf mit P-51 "Mustang"
Luftsiege: 10
Verbleib: Lazarett, danach Fluguntauglich
Bischoffen, Freitag 12. Mai 1944
Etwa 2 Kilometer nördlich von Bischoffen, in Richtung Übernthal,
musste an diesem Tag auch ein amerikanischer Jagdflieger seine
Maschine auf den Bauch "legen". Der mit sieben Luftsiegen sehr erfahrene
und erfolgreiche Captain der USAAF, John Baxter Carder hatte im
vorangegangenen Luftkampf mit einer deutschen Messerschmitt 109
(Vermutlich war es Obfw. Otto Büssow von der I. Gruppe des
Jagdgeschwaders 3 "Udet" ) einen Treffer im Motorbereich seiner P-51
"Mustang" erhalten. Das deutsche Geschoss durchtrennte die
Kraftstoffleitung, sodass ihn, nachdem er schon zu niedrig für einen
Fallschirmabsprung war, nur noch eine Bauchlandung sicher zu Boden
bringen konnte.
(Die "Mustang" von Capt. Carder bei Bischoffen)(Foto: Helmut Heck)
Er brachte seine Maschine gegen 12.50 Uhr in dem engen Wiesental
unterhalb des Weges am Mühlgraben der Pfeiffersmühle zu Boden, riss
sich den äußeren Teil der rechten Tragfläche ab und verließ die stark
beschädigte Maschine zunächst in Richtung Wald. Noch am selben Abend,
etwa gegen 19.00 Uhr, ergab er sich dann dem aus Offenbach (Dillkreis)
stammenden Kuhhirten Adolf Gass, der ihm zunächst dem Bürgermeister
übergab. Danach wurde er zunächst in das Durchgangslager der Luftwaffe
gebracht, wo er einem Verhör unterzogen wurde, bevor in das Stammlager
der Luftwaffe nach Sagan überführt wurde.
Die Einheit des Captain J. B. "the Blade" Carder, die 364. Fighter Squadron
in der 357. Fighter Group, war an diesem Tag von ihrem Einsatzplatz
Leiston in Suffolk mit 15 Maschinen des Typs P-51 B "Mustang" zum
Begleitschutz für die Viermot-Verbände gestartet. Bis auf die Maschine
von Captain Baxter, die "Taxpayers Delight" und der seines Kameraden
2ndLt. Roger A. Hilstad, welcher bereits gegen 12.30 Uhr bei Hundstadt
abgeschossen wurde, kehrten die Maschinen der 357. Fighter Group
unversehrt zu ihrem Einsatzhafen in England zurück.
Captain Baxter, der auch nach dem 2. Weltkrieg dem Fliegen treu blieb
und noch im Korea-Krieg Einsätze flog, kam am 1. Oktober 1961 beim
Absturz einer von ihm geflogenen Cessna 180 in den Bergen Nebraskas
ums Leben.
(Die Meldung der Fliegerhorstkommandantur Gießen zu diesem Fall)
(National Archive Washington)
Interessant und deshalb auch erwähnenswert ist die Tatsache, dass Capt. Carder bereits an den Luftkämpfen am 2. März dieses Jahres im Großraum Marburg, Gießen, Vogelsberg beteiligt war und an diesem Tag wohl auch die Messerschmitt Bf 109 mit dem Obfw. Papendick bei Busenborn abgeschossen hat (Siehe auch 2. März 1944),
Notlandung eines einmotorigen amerikanischen Jagdflugzeugs
Ort: 2 km nördlich Bischoffen
Datum: 12. Mai 1944
Uhrzeit: ca. 12.50 Uhr
Flugzeugtyp: North American P-51 B-15 "Mustang"
Werknummer: 42-106777
Kennung: C 5 - J
Nickname: "Taxpayers Delight"
Motor: 1 flüßigkeitsgekühlter V-12-Motor
Allison V-1710-F-3-R
Einheit: 364. Fighter Squadron in der 357. Fighter Group
Startflughafen: Leiston, Suffolk (England)
Pilot: Captain John Baxter Carder
Erkennungsmarke: O-740 364
Geburtsdatum:
Geburtsort:
Verbleib: Kriegsgefangenschaft
Absturzursache: Luftkampf mit Messerschmitt Bf 109 der I./JG 3 "Udet"